Die Frau für die großen Spiele

Carol Rapp leitet die SPIEL Essen. Beim Team-Building setzt sie auch auf Brettspiele

Von Peter Budig

Carol Rapp: „Spielen gehört zu meinem Leben, solange ich denken kann“

Carol Rapp, im Frühjahr 2023 noch 43 Jahre alt, ist die Frau des Jahres in der Brettspielbranche. Sie kam letzten Herbst zur „SPIEL Essen“, der im Herbst stattfindenden, weltweit größten Publikumsmesse der Branche, mit zuletzt knapp 150.000 Besuchende und 980 Ausstellern aus 56 Ländern. Sie arbeitete zunächst mit Dominique Metzler zusammen, die die Veranstaltung vom Gründer und Stiefvater Friedhelm Merz übernommen und weiterentwickelt hatte. Zum 1. Januar 2022 wurde öffentlich, dass die Inhaberin des Messeveranstalters, also des Friedhelm Merz Verlages, die Großveranstaltung an die Spielwarenmesse eG verkauft hat. Die Brettspielbranche findet im Frühjahr in Nürnberg ihr Fachpublikum, also Einkäufer, Ladenbesitzer, Journalisten, Firmeninhaber und Führungskräfte aus aller Welt. Die „Leut‘“, Spielfreaks, Brettspielsammler, Nerds, sie pilgern nach Essen. Bereits im Frühjahr verkündet Dominique Metzler ihren Rückzug ins Private; eine Ära ist zu Ende. Die neue Chefin heißt Carol Rapp. Sie verantwortet mit Florian Hess, Vorstand der Spielwarenmesse eG, die Weiterentwicklung der Internationalen Spieletage.

Unter dem Publikum der SPIEL fällt Carol Rapp nicht auf

Carol Rapp passt perfekt ins Publikumsprofil der Messe. Selbst bekennender Spielenerd, gemeinsam mit dem ebenso affinen Spieler-Ehemann im Besitz einer privaten Sammlung von gut 3000 Spielen, fällt sie als Messeflaneur nicht auf. Auf die Frage „Was verbindet Sie mit „Spielen“, antwortet sie: „Das ist einfach: Alles. Ich liebe Spiele! Ich spiele schon mein ganzes Leben. Das lag bei uns schon immer in der Familie.“ Carol Rapp könnte also immer schon unbedarft über die Messeveranstaltung schlendern, sich mit anderen an einen Spieltisch setzen, hier und dort ein neues Verlags- und Autorenprodukt betrachtend. Das Spiele-Fansein ist für den Job wohl unerlässlich, für die Aufgabe aber natürlich nicht hinreichend. Rapps Karriere ist ungewöhnlich aber sie passt perfekt zur neuen Aufgabe – „ein spielerischer Lebensweg“, findet sie selbst.

Spielen ist nicht nur für Kinder gut, sondern für eine moderne Organisationskultur.

Carol Rapp

Bereits vor dem Abitur hat sie regelmäßig gejobbt, in der Systemgastronomie (McDonalds), wurde dort von einem Vorgesetzten entdeckt und sozusagen von der Fritteuse weg ins Ausbildungsprogramm rekrutiert. Danach ging es mit Tempo Richtung berufliche Traumverwirklichung: Sie hat Veranstaltungen mit organisiert und gestaltet, wie die „Catan Big Game 2005“ in Chemnitz, mit über 800 Spielern gleichzeitig. Beim deutschen Kosmos Verlag war sie Marketingbeauftragte für Catan und arbeitete eng mit Klaus Teuber zusammen. Danach wirkte sie in der Geschäftsführung und im Marketing von Asmodee Deutschland mit, einer Tochter der Asmodee Group Frankreich. Asmodee ist ein Marktführer, der weltweit agiert, über 30 Distribution Units und Verlags-Studios in Europa, den USA und China verfügt und sich als die Experten für Brettspiele versteht. Rapp spricht ausgezeichnet Englisch und hat en passant eine ganze Reihe hochwertiger Zusatzqualifikationen (Coaching, Social Media, etc.) erworben. Zum Zeitpunkt des Vorschlags, sie könne doch die SPIEL Essen in die Zukunft führen, hatte sie sich gerade als Führungskräfte-Coach selbstständig gemacht: „Ich hatte bereits einige Erfahrungen im Einzelcoaching hinter mir, wo ich bewusst Spielformen angewandt habe, um den Coachee zu unterstützen“, erzählt sie – doch durch die neue Aufgabe ist die Freiberuflichkeit erst mal passé.

Team Building als Spiel-Anleitung begreifen

Team SPIEL Essen mit Carol Rapp (Mitte).

Als neue Geschäftsführerin des Friedhelm Merz Verlages hat Carol Rapp Aufgaben in einem bekannten Umfeld vor sich. Da waren einerseits eine jahrzehntelange Bekanntschaft und Zusammenarbeit mit Dominique Metzler, die Rapp auch als Nachfolgerin vorgeschlagen hatte. Da waren fast 40 Jahre Messetradition der SPIEL, seit 22 Jahren ist Rapp dort als beruflich engagierte Besucherin dabei. Dazu kam der neue Partner, der, so Florian Hess, im Vorstand der Spielwarenmesse zuständig für die SPIEL Essen, lange „mit Bewunderung und ein bisschen Neid“, auf diese Messe geblickt hatte, wie er in einem Interview mit Julia Zerlik („Spiel doch mal“) verriet. Beide, Rapp und Hess, sind sich einig, „die Veranstaltung im Kern erhalten zu wollen. Gleichzeitig hat der neue Friedhelm Merz Verlag viele zusätzliche Mitarbeiter fest angestellt. „Fünfeinhalb feste Mitarbeiterinnen“, ein ganzes Team, bis auf eine sind alle neu. Carol Rapp muss(te) also die SPIEL Essen nach Corona aktivieren, Arbeitsgebiete verteilen, Arbeitsabläufe neu im Team neu strukturieren, Pläne für die Zukunft machen. Beim Satzeinstieg „Carol Rapp musste“ wird die Kölnerin vermutlich bereits die Stirn runzeln. Denn ihr Vorgehen ist grundsätzlich kein Müssen, getreu ihrem Motto „ich glaube, Menschen, die viel spielen, haben von vorneherein eine andere Betrachtungsweise.“

Spielen ist ein 21st Century Skill für mich, denn Spiele stellen uns immer wieder vor neue und ungeplante Herausforderungen und das entspricht doch auch dem, was wir im beruflichen Kontext jeden Tag erleben. Daher ist Verspieltheit in der Problemlösung für mich etwas, was ich uns allen wünschen würde.

Carol Rapp

Beispielsweise forderte sie ihr Team (drei Männer, drei Frauen) anfangs auf, jeder solle seine „persönliche Lieblingstätigkeit wählen.“ Gleichzeitig wurden Regeln formuliert, damit bestimmte Anforderungen erfüllt werden: Jemand müsse für Büromaterial zuständig sein, jemand für Rechnungen; trotz grundsätzlicher hybrider Freiheiten, müsse jeder zwei Tage pro Woche im Büro sein; an einem Tag müssten alle im Büro sein. Sie ließ das Team dies allein diskutieren, entscheiden, eigene Regeln finden, „auf einem „catanähnlichen Spielfeld“. Ihr Credo lautet: „Das Team weiß, was es tut“; und sie schmunzelt ein bisschen über diesen ersten Erfolg: „Die waren strenger und stringenter mit sich, als wenn ich alles angeordnet hätte.“ So vollzieht sich spielerisches Unternehmertum – es gibt Regeln und es gibt ein freies Feld und alle machen mit, weil in diesem Spiel nur gemeinsam gewonnen wird. „Was ich mache, mache ich mit Herzblut und Begeisterung und als Spielerin halte ich den inneren Perfektionisten in Zaum“, beschreibt Carol Rapp ihr Vorgehen.

Codenames als Spielform für optimalen Gruppenzusammenhalt

Codenames: Das Spiel mit Assoziationen übt einen Sog aus, dem sich kaum jemand entziehen kann“ und „wer gerne mit Sprache jongliert, wird Codenames lieben.“

Rapp weiter: „Ein entscheidender Ansatz für gute Zusammenarbeit ist, mit dem Team zu spielen. Erstens, weil Teams, die Spaß miteinander haben, besser arbeiten. Zweitens, um sowohl dem Einzelnen als auch der Gruppe unbewusste Verhaltensweisen aufzuzeigen“ – eine Überzeugung, die auf Platon zurückgehen soll. Als gut geeignete Spielform hat Rapp dafür „Codenames“ befunden, Spiel des Jahres 2016. Ein Detektivspiel mit Worten, das nicht nur Sprachgefühl, sondern auch Einfühlungsvermögen in das Denken aller Mitspielenden verlangt und die Teams sehr fordert. „Gerade in Teamcoaching entsteht eine andere Leichtigkeit, die trotzdem Dinge aufzeigt, die tief in einer Gruppe verborgen sind“, davon ist Carol Rapp überzeugt.

Meine wichtigste persönliche Erkenntnis lautet: Beim Spiel kann man einen Menschen in einer Stunde besser kennenlernen als im Gespräch in einem Jahr. Dieser Ausspruch wird Platon nachgesagt. Auch wenn es nicht Platon war, der das gesagt hat, ist die Essenz für mich absolut wahr. Die wenigsten Menschen können sich beim Spielen verstecken. Es kommt immer ihre wahre Natur zum Vorschein.

Carol Rapp

Durch Spielen Tiefgang schaffen

Auch mit der Verwendung von „Dixit“-Karten hat sie gute Erfahrungen gemacht. Dixit (Spiel des Jahres 2010) wurde von dem französischen Kindertherapeuten Jean-Louis Roubira entwickelt, die Illustrationen sind von Marie Cardouat. Zu Beginn erhält jeder Mitspieler sechs Bildkarten. Die Karten zeigen bewusst fantasievolle, symbolträchtige Bilder, bunte farbenfrohe Motive. Wer an der Reihe ist, nennt einen Begriff, ein Wort, einen Satz oder ein Zitat zu einer seiner Karten. Im Spiel wählt eine Person eine Karte und erzählt, welchen Satz, Begriff, sie damit verbindet. Die anderen wählen aus ihren Karten jene, die für sie dazu passen. So kommen unbewusst tiefe Gefühle ins Spiel, Assoziationen oder Empfindungen werden ausgelöst. „Auf diese Art und Weise drückt man sich emotional aus, ohne es bewusst wahrzunehmen“, erläutert Rapp.

Das Ziel fest im Blick

Natürlich sitzt das Team der SPIEL Essen, die im Oktober 2023 wieder stattfinden wird, nicht nur spielend beisammen. Es ist viel konzentrierte Arbeit nötig, um das Messeerlebnis für Aussteller, Spieleerfinder, Brettspieler positiv zu gestalten. „Jedoch entscheiden wir als Gruppe über den Erfolg der Messe. Gute Messeerlebnisse können nur von einer guten Gruppe kreiert werden. Deshalb sind dialogische und spielerische Vorgehensweisen so wichtig“, fasst Rapp zusammen.

Über den Autor

Peter Budig hat Evangelische Theologie, Geschichte und Politische Wissenschaften studiert. Er war als Journalist selbstständig, hat über zehn Jahre die Redaktion eines großen Anzeigenblattes in Nürnberg geleitet und war Redakteur der wunderbaren Nürnberger Abendzeitung. Seit 2014 ist er wieder selbstständig als Journalist, Buchautor und Texter. Storytelling ist in allen Belangen seine liebste Form.

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