Ultra Comix in Nürnberg: Besuch im Kidult Universum

Vom Point of Sale zum Point of Passion: The Place to be

Von Sibylle Dorndorf

Im Ultra Comix treffen Welten aufeinander: Menschen und ihre Leidenschaften. Das Geschäft zu beschreiben, gleicht dem Versuch, eine prachtvoll blühende Sommerwiese auf einen Schwarz-Weiß-Film zu bannen. Dieses Multiversum, auf ca. 1.000 Quadratmeter und drei Stockwerke verteilt, muss man erleben. Wer sich darauf einlässt, macht eine emotionale Selbst-Erfahrung und damit einhergehend eine radikale Verjüngungskur. Das Ergebnis: Ein Alice-hinter-den-Spiegeln Gefühl, das ungeahnte Saiten zum Klingen bringt. Kein Wunder – das Sortiment macht erst einmal sprachlos.

Die Anarchie des Alltags

Das Ultra Comix ist ein Konzept, das keines sein will. Jedes sortieren, einordnen, in Schubladen packen ist zum Scheitern verurteilt. Mehr noch: Es würde die Magie dieses wohl einzigartigen Mikrokosmos unerfüllter und ungelebter Träume im Makrokosmos der Möglichkeiten unwiederbringlich zerstören. Und ob man will oder nicht manifestiert sich die Frage: Wer bin ich? Wer will ich sein?

Das Kidult-Nonplusultra oder: Mehr geht nicht

Stefan Wills persönliches Camelot – verborgen in den Playmobil-Welten

Ein Sortimentskonzept? Wozu? Warum sich beschränken? Das Ultra Comix ist die Bühne für ein Karaoke des Spiels, dazu Kunst, Kultur, Kitsch, Kidult-Romantik. Zauberstäbe, die optisch und haptisch verzaubern, so schön gearbeitet sind sie. Versteckt im untersten Fach einer Vitrine am Eingang lassen sie sich nicht von jedem finden. Man muss schon auf der Suche sein nach der Magie. Der Zauberspruch? Jedem das Seine. Und das wäre: Comics, Manga, Bücher, Spiele & LCG, Fantasy, Table Top, Trading Card Games, Rollenspiele, Schnickschnack, Merchandise & Geschenkartikel, Kalender & Karten, Figuren, Statuen & Skulpturen, Monster, Druckgrafik, limitierte Editionen, Kunst … und Playmobil.

Schenk mir ein Lächeln

Unter Trekkies gilt der Vulkanische Gruß: Lebe lang und in Frieden

Verteilt auf alle Etagen – immer wieder Playmobil. Da, wo man es gar nicht vermutet, ploppt wieder ein Display auf. Im Ultra Comix-Umfeld muten die Packungen zunächst an wie Fremdkörper. Dann die Erkenntnis: Hier wird das Playmo-Universum neu gedacht. Plötzlich spürt man sie wieder, diese Faszination der Marke, fängt einen das Lächeln ein, das fast so berühmt ist wie das der Mona Lisa. Die Männchen und Mädchen sind kein lästiges Beiwerk, einer jungen Zielgruppe geschuldet, sie sind keine „Must-haves“, die auf dem Altar des Umsatzdrucks geopfert werden. Sie sind schmunzelnde Claqueure, geübte Protagonisten und schlüpfen – die große Bühne gewöhnt – mit professionellem Habit in ihre Rollen.

Getrieben von Leidenschaft

Das Ultra Comix und seine Vorläufer, der Aladin Spieleladen und das Projekt 7, waren und sind Objekte der Leidenschaft. Gegründet in den späten 80ern, fusioniert in den 90ern traf Verspieltes auf Fantastisches, verband sich Kunst mit Comic, begann die „Amor fou“ des Stefan Will und der Gebrüder Trautner. Die Gründer des Ultra Comix hat das Leben und ihre Leidenschaft zusammengeführt. Das Ergebnis: Mehr Comics, Spiele und Manga geht nicht. Im Ultra Comix bilden die Inhaber ein mega-kreatives Triumvirat – jeder schickt tagtäglich seine Legionen in die Schlacht am Point of Passion. Jeder hat eine Leidenschaft, die er im Ultra Comix auslebt und mit Verve vertritt. Das gibt Diskussionsstoff, der das Feuer des Ultra Comix am Brennen hält. Das Charisma des Geschäfts ist nicht allein sein einzigartiges Sortiment – es sind die Menschen, die dahinterstehen.

Wo ein Will ist, ist auch ein Weg

Die „Herren der Dinge“ betreiben eine Arbeitsteilung qua Profession. Stefan Will ist der Playmobil-Enthusiast. Detailverliebt taucht der Weltenbummler auch zuhause in die Szenerien ab, die er mit den Jahren gesammelt hat. Frei nach dem Motto: „Hier bin ich Kind, hier darf ich sein.“ Wills Wort hat Gewicht. Sogar in Zirndorf. Er darf bestimmen, welche Sets und (Lizenz)Themen den Weg ins Ultra Comix finden. Das ist nicht selbstverständlich. Große Marken machen in der Regel klare Ansagen, wer ins Vertriebskonzept passt. Im Ultra Comix jedoch herrscht eine gewachsene Anarchie, auch, was diese sich selbst beschränkende Vertriebspraxis betrifft. Das Lex Ultra Comix sagt: Was Spaß macht, passt zu uns. Ein ungeschriebenes Gesetz, dem in jeder Hinsicht Folge geleistet wird.

Der Kunstsinnige, der nicht sammelt

Der Elefant des Pharao. Nur mit Samthandschuhen anzufassen und unverkäuflich

Während Stefan Will sich als bekennender Sammler von Schätzen unterschiedlichster Couleur outet, weist Stefan Trautner dies weit von sich. „Ich sammle nicht, ich fahre lieber in Urlaub.“ Wer sich so nachdrücklich positioniert, ist verdächtig. Der Eindruck vertieft sich beim Rundgang durch das Ultra Comix. Da ist einer, der seine Sammel- und Kunstleidenschaft tief im Sortiment zu verbergen weiß. Wenn Stefan Trautner auf Auktionen geht, dann aus rein beruflichen Gründen – man denke sich hier ein Augenzwinkern. Er wahrt eine professionelle, aber zugewandte Distanz zu den Objekten und Produkten, die er verkauft – wenn er sie verkauft. Den Elefanten, eine Zinnfigur der Firma Pixi aus dem Tim und Struppi Band „Die Zigarren des Pharaos“, würde er nie hergeben. Eines dieser seltenen Exemplare wurde kürzlich für 3.700 Euro versteigert.

Kunst und ihre Erscheinungsformen

Ist es die Leidenschaft des ewig Suchenden, die Stefan Trautner treibt? Des Unternehmers, der die Alleinstellung, die Positionierung seines Geschäfts über alles stellt? Egal. Die riesige Sammlung an exzellenter Druckgrafik, zum überwiegenden Teil eigene Veröffentlichungen, ist seiner langjährigen Expertise geschuldet und zieht eine treue, ständig wachsende Kundschaft und Sammlergemeinde an. Vertreten sind Uli Oesterle (Hector Umbra), Thommy von Kummant (Gung Ho), Christian Moser (Monster des Alltags) oderToni Burghart (Albrecht Duck), um nur einige bekannte Namen zu nennen. Aus Frankreich holt Stefan Trautner Grafiken vonMoulinsart mit Motiven von Hergé, Moebius und vielen anderen. Als Ergänzung zu den Franko-belgischen Comics gibt es seltene Figuren und Statuen von Aroutcheff, Attakus, Fariboles, Galerie Oblique, Garage Franquin, Pixi und Moulinsart. Hier müssen Interessenten die Kreditkarte zücken. Taschengeldpreislagen sind das nicht, gute Geldanlagen sicherlich.

Auf zu den Sternen

Der Naboo-Fighter ist ein Unikat – ebenso wie das Ultra Comix

Der Naboo-Fighter aus Star Wars Episode 1 war irgendwann einmal ein Werbeobjekt für die Action-Figuren von Hasbro. Der Streetartkünstler Sebastian Lohmeier, KL52 hat das Flugobjekt exklusiv fürs Ultra Comix künstlerisch bearbeitet. Ein absolutes Liebhaberstück für Sci-Fi-Fans mit einer nonchalanten Bodenhaftung und dem entsprechenden Budget. Überhaupt steht im Ultra Comix die Begehrlichkeit im Vordergrund, nicht der Preis. Jedes Exponat hat seinen besonderen Wert und erzählt eine Geschichte. Auch der lebensgroße Stormtrooper, Eyecatcher im Ultra Comix Schaufenster, der für 13.000 Euro über die Theke gehen soll, wird seinen Platz finden. Ob als Designobjekt im heimischen Wohnzimmer, als martialischer Türsteher oder „just for fun“.

Nons vous présentons: Tintin et Milou

Deep Diving mit Stefan Trautner: Tim und Struppi im Haifisch-U-Boot

Szenenwechsel und Bühne frei für Tim und Struppi. In Europas Comic-Hauptstadt Brüssel begegnen sie einem auf Schritt und Tritt. Nicht nur in Buchläden oder Souvenir-Shops. Auch an Häuserwänden, als meterhohe Graffiti oder in U-Bahn-Stationen: Tintin – oder Tim, wie er bei seinen deutschsprachigen Fans heißt. Der rasende Reporter in Knickerbocker-Hosen, blauem Pulli und Trenchcoat und der Foxterrier Struppi, französisch: Milou, sein treuer Begleiter. Die legendären Helden aus der Feder von „Hergé“ sind an Bord ihres Haifisch U-Boots eines der Kleinodien im Ultra Comix. TinTin-Nostalgie, der auch Stefan Trautner frönt. Tintinologen zahlen gern die geforderten 1500 Euro. Ach, es gibt noch so viele Schätze zu heben. Ein Stöbern im Raritäten-Shop und Antiquariat des Ultra Comix lohnt sich: www.galerie.ultracomix-shop.de

Konsumsucht vs. Kauflust

Zu den wichtigsten Sortimentsbestandteilen im Ultra Comix gehört die bemerkenswert große und tiefe Spieleabteilung, die ihresgleichen sucht. Mit der Pandemie hat dieses Segment ein erhebliches Wachstum erlebt, das sich auf hohem Niveau eingependelt hat. Erwachsene, die im Übrigen über 90 Prozent der Kunden im Ultra Comix ausmachen, entspannen bei analogen Freizeitvergnügen und treffen sich beispielsweise zu Spieleabenden. Vor allem kooperative Spiele seien angesagt, so Stefan Will. Unterstützt wird dieser Trend durch Aktionen wie Beer & Boards. Man trifft sich „after work“ in der Kneipe nebenan – und spielt. Solche Events sprechen sich herum, nicht nur, aber auch in der Szene. Das Ultra Comix ist d a s Spieleuniversum. Seltene, vergriffene Spiele finden sich im dem Ultra Comix angegliederten Antiquariat K1 gleich um die Ecke, neben Raritäten und unendlich vielen Artikeln aus über 50 Jahren Comic und Mediengeschichte.

Spielerlei trifft Allerlei

Es ist ein großer und doch kleiner Schritt vom klassischen Spiel zum fantasievollen Rollenspiel. Im Ultra Comix gibt es diese Erfahrung auch erst mal zum Reinschnuppern. Wer schon immer als heroischer Ritter, verstohlener Späher und kluger Magier Dörfer gegen Orks und Skelette verteidigen oder alte Magiertürme erforschen wollte, ist hier richtig. Einsteigerprodukte vermitteln erste Rollenspielerfahrung. Im Sortiment: Das Schwarze Auge, Dungeon and Dragons, Splittermond, Pathfinder, Cyberpunk Red und das speziell für Kinder ausgelegte RPG So nicht, Schurke.

Special Edition: Die Ultra Comix Eigenkreationen

Gibt es wirklich nichts, was es nicht gibt? Fest steht: Wer ein derart kreatives Sortiment pflegt und immer auf der Suche nach ins Sortiment passenden Produkten ist, hat fast zwangsläufig auch eigene Ideen, die verwirklicht werden. In der Ultra Comix Edition werden Bücher, Comics und diverse Artikel aufgelegt, hinter denen die Inhaber stehen. Christian Mosers Monster des Alltags mit Siebdrucken, Tassen und Kalendern, Gymmick mit Buch und Tassen, Ben Becks S.F.E.K.M.D. und Erebus, Druckgrafik von Uli Oesterle, Thommy von Kummant, Johannes Stahl, Laska und Toni Burghart.

Was haben Buch, Sci-Fi und Funko-Pops gemeinsam?

Man findet sie im Ultra Comix. Science Fiction ist seit über einhundert Jahren eines der innovativsten und dynamischsten Genres der Unterhaltungsliteratur. Im Ultra Comix gibt es nahezu jedes deutschsprachige lieferbare SF-Taschenbuch, eine Menge an Hintergrundliteratur und vieles mehr diesem Bereich. Unter anderem Romane einschlägiger und bekannter Autoren wie Peter F. Hamilton, Frank Herbert, Robert Heinlein, Stephen Baxter, David Weber, John Scalzi. Und wie immer: Seltene und/oder vergriffene Titel im K1.

Das Who-is-who der Funko Pops

Ein echtes Popkultur-Phänomen: Die Funko Pops live im Ultra Comix

Ein boomendes Phänomen der Gegenwart sind Funko-Pop-Figuren. Sie stellen meist beliebte Popkultur-Persönlichkeiten dar und zeichnen sich durch große Köpfe, kleine Körper und markante Details aus. Von Film- und TV-Charakteren über Comicfiguren bis hin zu Musikern und Sportlern gibt es mittlerweile über 8.500 verschiedene Figuren. Das lässt Sammlerherzen höher schlagen – und nicht nur diese. Goldgräber aufgepaßt: Es gibt Funko-Pop-Figuren, die mittlerweile mehr als 200.000 Euro wert sind.

Kunden spielen die Hauptrolle

Wem der Rundgang durchs Ultra Comix sprunghaft und unorthodox erscheint, dem sei gesagt: Das Geschäft ist so. Es folgt keinem „roten Faden“, keinem Konzept, es folgt seiner „inneren Stimme“, einem unsichtbaren Kompass. Das Ultra Comix zu betreten und schnell mal im dritten Stock im Regal links oben die begehrte Ware „abzugreifen“, funktioniert nicht. Wer seinen Fuß in das Geschäft setzt, begibt sich auf eine Abenteuerreise durchs Kidult-Universum, an deren Ende, glücklich gelandet auf dem Planeten Kidultopia, die Frage steht: Ich bin doch kein Nerd?! Warum eigentlich nicht? Irgendwo in einem verborgenen Winkel jeder Persönlichkeit schlummert es, das innere Kind. Im Ultra Comix meldet es sich zu Wort: Da ist es doch schon wieder, dieses unordentliche, lästige und laute „Will Haben-Gefühl“ …

Life’s a Playground: Erlebenswerte Sonderfläche in Halle 3A

Wer sich mit der Welt der Kidults vertrauter machen möchte, findet auf der Spielwarenmesse 2024 die interaktive Sonderfläche Life’s a Playground – Toys for Kidsters, Kidults & Co. Die rund 400 m² große Fläche in Halle 3A liefert Impulse und Inspiration, und ist in Kooperation mit dem Ultra Comix-Team entstanden. Dort finden Sie Produkte aus den Kategorien Collectibles, Premium Collectibles, Creative Fantasy und Tabletop Games, die in keinem Spielwarengeschäft fehlen sollten.

Die Sonderfläche Ergänzend geht das Toy Business Forum mit sechs Vorträgen auf die Zielgruppe Kidults ein.

Autorenprofil
Sibylle Dorndorf schreibt seit fast 30 Jahren über die Spielwarenbranche, zuletzt war die Journalistin Chefredakteurin der TOYS-Magazinfamilie im Göller Verlag, Baden-Baden. Ihre Passion: Unternehmen, die sich neu erfinden, Marken, die sich glaubwürdig positionieren, Menschen, die etwas zu sagen haben und Produkte mit Zukunft.

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