Spielend Demokratie üben

Moderne Brettspiele simulieren komplexe demokratische Prozesse

Von Peter Budig

Leute allen Alters treffen sich im Spielclub oder bei privaten Zusammenkünften und packen das neueste Brettspiel ebenso aus, wie einen der bekannten Klassiker. Immer häufiger leihen sie sich Spiele zum Ausprobieren in öffentlichen Bibliotheken, speziellen Ludotheken, oder Spielezentren aus. Um bestens informiert zu sein und neue spielbegeisterte Bekanntschaften zu schließen, pilgern jährlich mehr und mehr auf die große Verbrauchermesse Deutschlands, die SPIEL ESSEN – zuletzt waren es 193.000 an vier Tagen.

Titelseite Politik und Kultur 2-2024
Politik und Kultur 2-2024, Hrsg. Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber von Politik & Kultur

Vordergründig treffen sich die Leute zum Vergnügen, wegen der Spannung, um sich zu messen, um Gemeinsamkeit zu erleben. Doch ganz unterschwellig, durch die Hintertür, lernen sie etwas Wesentliches dazu: das Einhalten von Regeln, das Strapazieren von Regeln (in einem tauglichen Rahmen), das konsensfähige neue Aufstellen von Regeln, die offene Diskussion, den Streit ohne Nachwehen, Siegen lernen und Verlieren aushalten.

Das klingt nicht zufällig wie ein Seminar für besseres Demokratieverständnis. Unter dem Titel „Brettspielend demokratiefähig werden“ haben der Referent Christian Beiersdorf von der Spiele-Autoren-Zunft (SAZ), der Spieleautor Daniel Bernsen und der Historiker und Mitbegründer von Boardgame Historian Lukas Boch das Brettspielen systematisch untersucht. Sie sind unter anderem zu folgendem Schluss gekommen: „Moderne Brettspiele simulieren komplexe demokratische Prozesse und machen sie erlebbar. Das gemeinsame Spielen analoger Spiele ist daher weit mehr als nur Unterhaltung … sondern kann auch als politischer Akt betrachtet werden.“ Veröffentlicht ist der Artikel in der Zeitung des Deutschen Kulturrats Politik & Kultur Nr. 2, 2024.

Brettspiel: "Weimar - Der Kampf um die Demokratie"

Gleichwohl, das arbeiten die Autoren heraus, genießen Brettspiele nicht die notwendige öffentliche Förderung: „Analoge Spiele werden in ihrer gesellschaftlichen Funktion und trotz ihrer wachsenden Bedeutung nach wie vor kaum in Politik und Kultur wahrgenommen.“

Die wachsende Bedeutung lässt sich einfach belegen: Historische Spiele wie „Weimar – Der Kampf um die Demokratie“ bilden komplexe historische Prozesse beispielhaft ab, in der gemeinsamen Spielerunde erfährt der einzelne „die NSDAP als eine ständige Bedrohung, die das Spiel zu einem frühzeitigen Ende kommen lassen kann.“

Und wenn wir beim Thema „Gefahren für die Demokratie von rechts“ sind, darf diese Studie aus dem „Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ nicht fehlen: „Extrem einsam“ heißt das Ergebnis einer Jugendbefragung, das Ursachen für radikale Einstellungen untersucht. „Besonders einsame junge Menschen neigen dazu, antidemokratische Einstellungen zu entwickeln“, lautet eine Schlussfolgerung. Am Spieltisch aber wird nicht nur der friedlich-freundschaftliche Austausch geübt, sondern spielend „Loneliness“ weggegamed.

Übrigens: Auch der wachsende Trend zu kooperativen Brettspielen, bei denen es nicht ums Siegen sondern ums gemeinsame Lösungen finden geht, führt näher ans demokratische Bürgerhandeln. Nehmen wir nur die extrem erfolgreiche „Exit-Reihe“ des Kosmos Verlags oder der gemeinsame Kampf gegen die Erderwärmung in „e-Mission“.

Deshalb, folgern die Autoren nachdrücklich, mehr Wahrnehmung der Tugenden des analogen Brettspiels in Kultur und Politik. Die sonntägliche Öffnung von Leihbibliotheken, die bessere Ausstattung von Schulen mit geeigneten Spielen sind nur zwei Beispiele für eine denkbar einfache Art, brettspielend mehr Demokratie zu wagen.

Quelle:
Beiersdorf, Christien; Bernsen, Daniel; Boch, Lukas: „Brettspielend demokratiefähig werden“, in: Politik & Kultur 22. Jg./2, 29.01.2024, S. 04. https://www.kulturrat.de/wp-content/uploads/2024/01/puk02-24.pdf

Über den Autor:

Peter Budig hat Evangelische Theologie, Geschichte und Politische Wissenschaften studiert. Er war als Journalist selbstständig, hat über zehn Jahre die Redaktion eines großen Anzeigenblattes in Nürnberg geleitet und war Redakteur der wunderbaren Nürnberger Abendzeitung. Seit 2014 ist er wieder selbstständig als Journalist, Buchautor und Texter. Storytelling ist in allen Belangen seine liebste Form.

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