Digitaler Röntgenblick in die Spielewelt

Prof. Voit durchleuchtet mit EMPAMOS die Spielewelt

Von Thomas Tjiang

Die Faszination von Spielen ist nicht immer leicht zu beschreiben. Mal ist es die Spielidee, mal Ausführung oder Haptik. Am besten lässt es sich erklären, wenn man selbst am Spieletisch vom Fieber ergriffen wird. Der Nürnberger Professor der Technischen Hochschule Georg Simon Ohm, Dr. Thomas Voit, geht noch einen Schritt weiter. Im Deutschen Spielearchiv Nürnberg spielt er mit seinen Studierenden, um die verschiedensten Elemente digital zu erfassen. Vom Computer lassen sie im weiteren Schritt die Daten zu Bauplänen und Elementen auswerten.

Neue Dimension für Spielzeugstadt Nürnberg

Die Voraussetzungen der Spielzeugstadt Nürnberg sind ideal, um einmal mehr in diesem Bereich Neuland zu betreten. Die Informatik-Fakultät der TH Nürnberg wirft einen digitalen Röntgenblick in die riesige Sammlung des Deutschen Spielearchivs Nürnberg mit seinen über 40.000 Brett- und Gesellschaftsspielen. Das 2016 gestartete, gemeinsame Forschungsprojekt EMPAMOS widmet sich der empirischen Analyse motivierender Spielelemente. Mittlerweile liefert es valide Daten, wie in einem Spiel etwa die Elemente Sammeln, Belohnen oder Zeitlimit kombiniert sind. „So bekommen wir schließlich eine Topographie oder Landkarte für die Spielewelt,“ sagt der Dekan der Informatik-Fakultät, Dr. Thomas Voit.

Die bisherige Literatur zu den Bausteinen von Brett- und Gesellschaftsspielen ist zwar groß. Aber erst die jungen IT-Methoden des maschinellen Lernens, der Künstlichen Intelligenz (KI) und der Rechenleistung für große Datenmengen machen den neuen Schritt möglich. So lässt eine Art digitaler Röntgenblick in die Tiefen der Spiele werfen. Jetzt finden sich nach über 8.300 ausgewerteten Spielanleitungen Kombinationen und Muster, die für eine fesselnde Spielerunde sorgen. „Unsere Forschung ist weltweit einmalig und eröffnet der Spielzeugstadt Nürnberg eine weitere Dimension.“

100 Spieleelemente identifiziert

Für den digitalen Datenbestand hat das Forschungsteam erst einmal ordentlich gespielt. Am Spieletisch entstehen die Hypothesen, welche Elemente enthalten sind und wie sie in bestimmten Kombinationen ihre motivierende Wirkung entfalten. So lässt sich auch umgekehrt erkennen, was an einem Spiel kaputtgeht, wenn bestimmte Elemente fehlen. So wäre es schnell mit der Spielelust vorbei, wenn beispielsweise beim „Mensch Ärgere Dich Nicht“ der Würfel fehlt oder jeder seine Würfelzahl ohne das Element Zufall selbst bestimmen kann. Das Projekt hat bereits einen Katalog von gut 100 Spielelementen zusammengestellt. Mehr brauche es wahrscheinlich nicht, jetzt finde man nur noch Varianten oder zusammengesetzte Moleküle, wie Voit sie bezeichnet.

Das Forschungsteam hat beispielsweise für Familienspiele, wie z.B. „Das Verrückte Labyrinth“, im Durchschnitt 24 bis 25 Spielelemente empirisch belegt. Bei komplexen Kenner- und Strategiespielen komme man locker auf die doppelte Anzahl an Elementen. Selbst für Kleinkinderspiele für Drei- bis Sechsjährige förderte die digitale Auswertung 12 bis 15 Elemente hervor. Das hat auch den spielebegeisterten Informatiker etwas überrascht. „Beim genauen Hinschauen lässt sich entdecken, wie filigran Spielelemente komplex aufeinander abgestimmt sind. Da ziehe ich vor der Kreativität der Entwicklerinnen und Entwickler meinen Hut.“

Digitale Mustererkennung für kooperative Spiele

Die digitale Mustererkennung kristallisiert aus der Fülle der Spielanleitungen wiederkehrende Kombinationen heraus. Voit illustriert das am Beispiel kooperativer Spiele, wie z.B. beim Würfelspiel „Obstgarten“ oder „Magic Maze“. Dieses kooperative Spieldesign findet sich im aktuellen Datenbestand nur 342-mal. Darüber hinaus zeigt die systematische Auswertung, dass beliebte kooperative Spiele in ihrem Regelwerk ein Schutz vor „Schlauerle am Spieltisch“ haben. Damit sie nicht die Runden dominieren, verlangen Spielanleitungen unterschiedliche Rollen. So sorgen die Köpfe hinter den Spielen dafür, dass bei einer kooperativen Variante eine Person auf die anderen angewiesen ist.

Dauerprojekt mit open end

Für das Forschungsprojekt EMPANOS hat die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Spielearchivs Nürnberg, Stefanie Kuschill, ein riesiges Spielereservoir für Informatikprofessor Thomas Voit von der TH Nürnberg.

Das gemeinsame Projekt von Spielearchiv und der Fakultät Informatik ist auf Dauer angelegt. „Dieses Forschungsfeld macht uns selbst so viel Spaß, dass uns das Thema noch die nächsten 15 oder 20 Jahre beschäftigen wird. Immerhin kommen jedes Jahr 1.500 oder mehr neue Spiele hinzu.“

Das Potenzial des Informatikansatzes entfaltet sich mit fortschreitendem Projekt immer deutlicher und wird damit auch greifbarer. Stefanie Kuschill, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Spielearchivs, bemerkte bald, wie interessant der neue Zugang in die Spielewelt ist, bei der das Team um Prof. Voit die KI mit den Elementen vom Kinderspiel bis zum komplexen Strategiespiel füttert und lernen lässt. Hinzu kommt: „Die Begeisterung von Professor Voit ist ansteckend.“

Spieleerfinderinnen und -erfinder bekommen mit EMPANOS ein Denk- und Analysewerkzeug an die Hand. Damit erkennen sie, welche Kombinationen beispielsweise häufig vorkommen oder nicht, und können entsprechend ihre Spielideen ausrichten oder bewusst ungewöhnliche Wege ausprobieren. „Am Ende“, ist sich Voit aber sicher, „lässt sich ohne die menschliche Kreativität kein spannendes Spiel erfinden.“

Über den Autor

Thomas Tjiang freier Wirtschafts- und Lokaljournalist, Referent und Kommunikationsberater. Seit Anfang der 1990er Jahre hat er für alle Medientypen, wie Tages- und Monatspresse, Hörfunk, TV, Nachrichtenagentur und Online-Redaktionen gearbeitet. Der Literatur- und Kommunikationswissenschaftler lebt seit über 30 Jahren in Nürnberg.

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