Kidult-Produkte als Chance

Ein Kommentar von Steve Reece

Von Steve Reece

Früher galt Spielzeug unter Erwachsenen nicht unbedingt als ein gutes Geschenk oder etwas, was man sich gerne kaufen würde. Ausnahmen bildeten vielleicht bestimmte Hobbys wie Modellbau oder Puzzles, die schon immer bei den jeweiligen Zielgruppen beliebt waren. Und es gab auch schon immer ein paar wenige Leute, die Puppen oder Aktionsfiguren sammelten, aber historisch gesehen fielen sie nicht ins Gewicht.

Heute ist neben Nachhaltigkeit die Ausrichtung auf die Zielgruppe der Kidults das Thema Nr. 1 im Toy-Business. Als ich vor 25 Jahren in der Spielwarenbranche anfing, hieß es, dass Kinder schneller erwachsen werden – der Spruch „Kids Growing Older Younger“ oder „KGOY“ war damals in aller Munde. Mittlerweile hat sich das geändert und wir stehen am Beginn des Zeitalters der Erwachsenen, die später erwachsen werden: „Adults Growing Older Later – AGOL“.

Kidult-Produkte: So fing alles an

Der Ursprung des Kidult-Trends liegt in mehreren Bereichen. Lassen Sie uns zunächst in die 1970er zurückgehen. Ich komme aus der Generation Star Wars – ein ikonisches Filmthema, das praktisch den Massenmarkt für Film-Merchandising erst ins Rollen brachte, vor allem bei den Spielwaren. Die Altersgruppe, die die erste Star-Wars-Trilogie noch live miterlebt hat, ist jetzt zwischen Ende 40 und Ende 50. Und die Fans von damals haben ihre Begeisterung für den Krieg der Sterne mit ins Erwachsenenalter genommen. Deshalb wimmelt es im heutigen Star-Wars-Universum nach wie vor von Erwachsenen, die das Thema aus ihrer Kindheit kennen.

Dann gibt es noch die Superhelden, die in der Mainstream-Kultur allgegenwärtig sind und eine steile Karriere hinter sich haben. Ursprünglich kommen viele ikonische Super Heroes wie Batman und Spiderman aus der Comicecke, wo es schon seit langem immer wieder neue Folgen ihrer Geschichten gab. Es heißt, dass es Superman war, der diese Figuren aus den Comic-Heften auf die Kinoleinwand gebracht hat, aber auch Batman und Spiderman haben die Kassen der Kinobetreiber ordentlich klingeln lassen. Eine Folge war, dass die einstigen Nischenprodukte mit Kultstatus aus den Seiten der Comic-Hefte mitten in den Mainstream vorgedungen sind. Flankiert wurde diese Entwicklung durch das Wachstum des Marvel Universums im Movie-Bereich.

Und zu guter Letzt haben die durch das Internet hervorgerufenen Umbrüche im Einzelhandel und in den Medien dazu beigetragen, dass Kidults als Zielgruppe immer interessanter werden. Online-Plattformen wie Amazon können eine viel größere Anzahl an Produkten zum Verkauf anbieten als der stationäre Einzelhandel. Gleichzeitig können sich dank Social Media jetzt Fans und Liebhaber einer bestimmten Figur oder eines spezifischen Themas im digitalen Raum treffen. So können Marketing-Messages zielgenauer und effektiver auf die Zielgruppe ausgerichtet werden und diese erreichen. Diese Entwicklungen haben dafür gesorgt, dass Spielzeughersteller eine viel breitere Produktpalette auf den Markt bringen können, wodurch einerseits die Kategorie Kidults an sich wächst und andererseits auch unkonventionelle Produkte ihren Weg in die virtuellen Regale finden.

Demografische Herausforderung: weniger Kinder, mehr Kidults

Eine der großen Herausforderungen, vor denen die Spielwarenindustrie im nächsten Jahrzehnt stehen wird, ist der Geburtenrückgang in vielen wichtigen Spielzeugmärkten. In der EU lag die durchschnittliche Geburtenrate im Jahr 2020 bei 1,50, obwohl für eine stabile Bevölkerungsentwicklung eigentlich 2,1 Kinder pro Frau geboren werden müssten. Um bei immer weniger Kindern das Marktvolumen beizubehalten oder sogar Wachstum zu erreichen, muss man also entweder mehr Spielwaren pro Kind verkaufen oder den durchschnittlichen Kaufpreis pro Spielzeug anheben oder eine Kombination aus beidem haben. Das wäre ein großes Problem, wenn es nicht das starke Wachstum im Kidult-Bereich gäbe. Schon heute machen in manchen Ländern Toys, die an Teenager oder Erwachsene verkauft werden, ein Viertel des Marktvolumens aus. Das ist ein riesiges Stück vom Kuchen – vor allem dann, wenn man sich vor Augen hält, wie stark die Spielwarenbranche auf Kinder und ihre Eltern fixiert ist. Die Kunst wird also sein, mehr Spielwaren an Erwachsene oder für Erwachsene zu verkaufen. Allerdings dürften deren Bedürfnisse, Wünsche, Medienverhalten und Einkaufsmuster erheblich von denen abweichen, die wir bei Kindern sehen und kennen. Die Spielzeugunternehmen müssen also bereit sein, ihr Vorgehen zu ändern und dabei auch ausreichend Flexibilität an den Tag zu legen sein, wenn sie die neuen Chancen nutzen wollen.

Neue Verbraucher wollen auf neue Art und Weise angesprochen werden

Unternehmen, die derzeit in Kategorien unterwegs sind, die zwangsläufig auf Kinder ausgerichtet sind (z.B. Preschool), müssen ihren Fokus erweitern und sich stärker nach der Decke strecken als Anbieter, die sowieso schon kidult-nahe Kategorien bedienen wie z.B. Hersteller von Aktionsfiguren. Aber selbst, wenn die Produktkategorie ähnlich ist, kann es durchaus sein, dass das Endprodukt für Kidults ganz anders aussieht. Kinderspielzeug wird nach dem Kriterium Preis ausgewählt, während bei Kidults der Preis eine nicht so große Rolle spielt. Denn hier ist es wichtiger, wie sehr ein Produkt begehrt wird und wie sehr die Konsumenten es haben wollen. Der Preisdruck und auch die Preiselastizität nach unten sind hier also in der Regel nicht so groß. Wichtiger ist, wie stark der Wunsch des Einzelnen ist, das Produkt zu besitzen. Erwachsene verfügen außerdem über ihr eigenes Geld, während Kinder typischerweise von der Großzügigkeit ihrer Eltern oder Großeltern abhängig sind.

Wir haben es hier also mit Neugeschäft innerhalb unseres bereits bestehenden Geschäftsfelds zu tun – allerdings mit ganz anderen Preisperspektiven und Erwartungen an Produkteigenschaften und -funktionen. Ich persönlich kenne allein vier Leute innerhalb meiner Bubble (die alle nichts mit dem Toy-Business zu tun haben), die mindestens ein Kidult-Produkt besitzen, das mehrere hundert Euro gekostet hat. Zugegeben – ich habe eher mit betuchten Menschen zu tun. Aber trotzdem ist die von mir gemachte Erfahrung nicht untypisch für eine Entwicklung, die sich aktuell grundsätzlich beobachten lässt. Es geht hier nicht mehr um eine kleine Nische für Leute mit einem Spleen, sondern wir haben es mit einer großen Marktische für viele Menschen zu tun, in der es hohe Affinitäten zu den unterschiedlichsten Produkten und Marken gibt.

Wenn wir uns jetzt unseren Marketingansatz für dieses Segment anschauen, dann müssen wir bereit sein, alte Denkmuster zu überwinden. Ein Kidult-Produkt mit einem Verkaufspreis von 200,00 Euro im Kinderfernsehen oder auf Social-Media-Plattformen für Kinder zu bewerben, dürfte nicht allzu erfolgreich sein. Wenn wir erwachsene Fans erreichen wollen, brauchen wir maßgeschneiderte Marketingpläne. Und wir brauchen auch eine neue Herangehensweise, wie wir entscheiden, welche Produkte wir entwickeln und in den Markt bringen wollen, weil wir niedrigere Volumina bei gleichzeitig höheren Preisen sehen werden. Darüber hinaus müssen wir uns sicher sein, dass unser Produkt so gefragt ist und den Wünschen der Käufer entspricht, dass es eine Kaufentscheidung auslöst.

Natürlich sind nicht alle Kidult-Toys wahnsinnig teuer und etwas Besonderes. Aber selbst wenn ein Produkt sich preislich im normalen Bereich bewegt, muss man sich klarmachen, welche Bedürfnisse Erwachsene in Bezug auf das Produkt haben. Welche Kaufmotivation gibt es und wie wird das Produkt voraussichtlich genutzt? Viele Sachen werden beispielsweise eher als Sammlerstücke gekauft oder weil sie an einen bestimmten Platz in der Wohnung stehen sollen. Dann ist es gut möglich, dass das Produkt in seiner Verpackung gelassen und auch so hingestellt wird. Das heißt, dass wir uns mehr auf die Eigenschaft Präsentation und weniger auf Funktionalität konzentrieren müssen als bei Kinderspielzeug. Konstruktionsspielzeug für Erwachsene darf außerdem technisch viel anspruchsvoller sein und mehr Kompetenzen und Fertigkeiten erfordern, weil Erwachsene in ihrer Entwicklung weiter sind als Kinder.

Ein Hoch auf die Kidults!

Um es auf den Punkt zu bringen: Die große Chance für die Spielwarenbranche besteht darin, Toys nicht mehr nur an Kinder und ihre Eltern zu verkaufen, sondern auch an Erwachsene. Dafür dürfen wir aber nicht auf den ausgetretenen Pfaden bleiben. Den größten Erfolg werden die Unternehmen haben, die sich am authentischsten auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Kidults einlassen. Denn in Zukunft werden wir eine längere Zeitspanne erleben, in der Erwachsene erst später erwachsen werden. Dafür müssen wir neue Produkte entwickeln.

Life’s a Playground® – Spielwaren für Kidsters, Kidults & Co.

Life’s a Playground® – Spielwaren für Kidsters, Kidults & Co.

Erwachsene spielen und sie sammeln. Heute mehr denn je. Früher wurden sie als Kidults oder Nerds belächelt. Heutzutage sind viele stolz auf dieses Label. Ob sie für Brettspiele brennen, Modelle nachbauen, Comics sammeln oder Lizenzcharaktere lieben Für jede Leidenschaft gibt es für die kaufkräftigen Fans das Passende.

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Über den Autor

Steve Reece arbeitet seit dem Ende der 1990er Jahre in der Spielwarenbranche. Er arbeitete bereits für Hasbro, wo er ikonische Marken wie Monopoly, Trivial Pursuit & Play-Doh europaweit leitete. Über die Zeit erbrachte erbrachte hunderte von Millionen Euro Umsatzsteigerungen für seine Arbeitgeber, Klienten und Partner. Er trat zweimal als Sachverständiger von Spielwaren & Spielen für die UK Royal Courts of Justice und die Gerichte von Hong Kong auf. Er hat eine umfangreiche Erfahrung bezüglich Spielwaren & Spielen einschließlich Marketing, Consumer Insights, Vertrieb, Lizenzierung, Beschaffung und mehr, vorzuweisen. Heute leitet Steve Kids Brand Insight, ein führendes Beratungsunternehmen, das Spielwaren- & Spieleunternehmen hilft nachhaltig zu wachsen.

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