Point of Sale vs. Point of Emotion: Ein Blick in die Marktforschung
Die Nähe zu Kunden stand Ende Februar im Mittelpunkt der diesjährigen Behavioral Science Akademie. Dort ging es unter anderem um Irrwege in der Konsumentenforschung, psychologische Trigger und die Bedeutung der Markenidentität.
Irrweg: Den homo oeconomicus durch den homo emotionalis ersetzen
„In den heutigen krisenhaften Zeiten ist die Nähe zu Kunden und Mitarbeitern doppelt wichtig“, weiß Christian Roeb, Geschäftsführer der Top Service Deutschland. Die Worte klingen simpel, ihre Umsetzung ist es bekanntermaßen nicht. Wie Unternehmen die genannten Zielgruppen mittels verschiedener Ansätze der Behavioral Science erforschen, binden und aktivieren können belegen einige Auszüge aus dem Programm:
Den Auftakt machte Prof. Dr. Georg Felser. Der Wirtschaftspsychologe von der Hochschule Harz sprach über „Unbewusste Einflüsse auf das Konsumverhalten“. In diesem Zusammenhang beobachtet er einen Irrweg in der Konsumentenpsychologie: Ökonomen hätten sich mehrheitlich zwar vielfach zurecht vom Konzept des „homo oeconomicus“ verabschiedet, diesen aber fälschlicherweise durch den „homo emotionalis“ ersetzt – dort, wo Menschen nicht rational in ihrem Sinne entschieden, werde nun zu häufig Emotion als Treiber vermutet. Wichtiger sei ihm die Unterscheidung zwischen zwei Systemen der Verhaltenssteuerung: System 1, automatisch ablaufend und stets aktiv, dabei aber inflexibel und System 2, kontrolliert, muss aktiviert werden, ist aber flexibel.
Der paradoxe Konsument
Mit „Marketing in paradoxen Zeiten“ aus kulturpsychologischer Sicht setzte sich Thomas Ebenfeld, Geschäftsführer von concept m research + consulting, auseinander. Der Tiefenpsychologe beobachtet, dass unsere Zeit von vielfältigen Widersprüchen auf Marketing- und Konsumentenseite durchzogen ist: Eine Tube veganer Senf kann die Aufschrift „Geeignet für alle Fleischprodukte“ tragen und im „schizophrenen Kühlschrank“ des ebenfalls nicht ganz konsequenten Verbrauchers neben dem verpackten Billigfleisch liegen. An Porsches auf dem Aldi-Parkplatz sei man auch schon gewohnt… Ebenfeld sieht solche Phänomene als Ausdruck einer Gleichzeitigkeit von zwei Kulturen – einer Maximierungs-Kultur (Stichworte: „Anything goes“ / Selbstinszenierung) und einer Rückbesinnungskultur („Suche nach Sinn“ / Lessness). Ergebnis: Der „paradoxe“ Konsument. Mit Blick in die Zukunft erkennt er einen wachsenden Wunsch nach einem „integrierten“ Lebensideal – einer Balance zwischen Bindung, Erhaltung, Sicherheit und Lebensgenuss.
Geheime Zutat: Illusion of Control
Im gewissen Sinne kulinarisch ging es weiter. Dennis Herzberger, Senior Consultant bei konversionsKRAFT, verriet „Die geheime Zutat für erfolgreiche Verhaltensänderung im Digital Marketing“. Er sprach über den Einsatz von Behavioral Patterns zur Optimierung von Webseiten und Online-Shops. Spannend sein Praxisbeispiel des Schul- und Kindergartenbedarf-Händlers Betzold, der die Zahl der Online-Bestellungen im Sinne des Behavioral Patterns „Reziprozität“ mit einem Geschenk für treue Kunden erhöhen wollte – in diesem Fall bei Lehrern bekanntermaßen beliebte Magnet-Haftis. Ohne Erfolg, den auch die prominentere Platzierung der entsprechenden Infobox nicht erhöhte. Die Leute mögen das Gefühl nicht, etwas schuldig zu sein, lautete eine Erklärung Herzbergers. Positive Effekte zeigten sich erst durch Aktivierung des Patterns „Illusion of Control“. Die Möglichkeit für die Shopper, zwischen mehreren Geschenken zu wählen, erhöhte die Zahl der Käufe um 5,7 Prozent. Bemerkenswert: 97 Prozent der Käuferinnen und Käufer wählten am Ende die Magnet-Haftis.