Labubu beherrscht die Grammatik der TikTok-Ökonomie
Eine Figur, die aussieht wie eine Mischung aus Troll, Hase und Dämon – mit riesigen Augen und schrägem Grinsen. Und trotzdem: Labubu ist ein globaler Hype. Popstars tragen ihn, TikTok-Feeds explodieren vor Unboxing-Videos, ganze Sammlergemeinden campieren vor Pop-Mart-Filialen, um an limitierte Editionen zu kommen.
Wir haben es mit einem Trend zu tun, der sich nicht über den oberflächlichen Nutzen erklärt – sondern über tiefere psychologische und kulturelle Bedürfnisse. Und weil Labubu, so seltsam er auf den ersten Blick wirkt, die Grammatik der heutigen TikTok-Ökonomie perfekt spricht.
Hype als System
Labubu ist kein Zufallsphänomen. Die chinesische Firma Pop Mart, die hinter dem Vertrieb steht, nutzt ein hochentwickeltes System emotionaler Aktivierung:
- Blindboxing: Man weiß beim Kauf nicht, welche Figur man bekommt. Das weckt Hoffnung, Spieltrieb – und einen unterschwelligen Nervenkitzel, der psychologisch dem Prinzip von Low-Stakes-Gambling ähnelt.
- Social-Media-Kompatibilität: Das Unboxing – also der Moment des Auspackens – wird zum viralen Content. Die echten, ungefilterten Reaktionen der Käuferinnen und Käufer erzeugen Authentizität. So entsteht Reichweite aus Emotion.
- Künstliche Verknappung: Limitierte Auflagen, ausverkaufte Serien und Warteschlangen erzeugen Begehrlichkeit. Wer einen Labubu ergattert, zeigt damit: Ich gehöre dazu.
So entsteht ein ökonomisch klug orchestrierter Kreislauf aus Konsum, Status und Community. Aber das allein erklärt den Trend nicht.
Sehnsucht hinter dem Sammeltrieb
Labubu wäre nicht so erfolgreich, wenn er nur als cleveres Geschäftsmodell funktionieren würde. Seine tiefere Wirkung liegt in seiner symbolischen Bedeutung. Er steht für eine neue Form des Trosts – vor allem für junge Menschen, die in einer Welt voller Unsicherheit, Klimakatastrophen, sozialer Spannungen und überfordernder Komplexität leben.
Psychologisch betrachtet erfüllt Labubu auch den sogenannten „Lipstick-Effekt“: In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit und schwindender Zukunftsperspektiven leisten sich Menschen keine großen Dinge mehr – sondern kleine, emotional aufgeladene Käufe. Ein Labubu ist ein solches Objekt: bezahlbar, besonders, tröstlich. Er gibt das Gefühl, sich selbst etwas Gutes zu tun – in einer Welt, die oft nicht gut erscheint.
Kidults als Zielgruppe
Manche Erwachsenen greifen dabei bewusst zu Symbolen der Kindheit. In der Marktforschung sprechen wir von Kidults: Erwachsene, die sich kindliche Freuden bewahren, als Gegengewicht zur Ernsthaftigkeit des Alltags. Für sie ist Labubu kein Spielzeug – sondern ein Safe Space.
Der Labubu-Trend ist darüber hinaus auch Ausdruck einer kollektiven Stimmungslage. Viele Menschen erleben die Gegenwart als chaotisch und ungerecht. Labubu wird so auch zum stillen Hilferuf: Ich bin süß, aber auch schräg. Ich bin verletzlich, aber auch wehrhaft. Ich wünsche mir Rücksicht und bin bereit, Widerstand zu leisten.
Labubu als Longseller
Ob Labubu bleibt, hängt von mehreren Faktoren ab: Kann Pop Mart neue Figuren entwickeln, überraschende Erzählwelten anbieten, das Momentum halten? Oder wird der Hype zum Mainstream und verliert seine kulturelle Sprengkraft?
Eines aber steht fest: Labubu hat etwas berührt. Und damit etwas sichtbar gemacht, das in vielen Markenstrategien heute noch übersehen wird: Es geht nicht nur um Produktnutzen. Es geht um emotionale Anschlussfähigkeit. Um kulturelle Resonanz. Um psychologische Tiefe.
In der TikTok-Ökonomie gewinnen nicht die Lautesten. Sondern die, die mit scheinbar beiläufigen Gesten das Richtige auslösen. Labubu tut genau das.
Quelle: Marktforschung.de