
Kidults entdecken die Character Toys
Ein Kommentar von Katriina Heljakka
Die Grenzen zwischen Kindheit und Erwachsenenalter werden immer durchlässiger. Das gilt vor allem für die sog. Character Toys. Diese aus Film, Fernsehen und Computerspielen bekannten Figuren, die früher als etwas für Nostalgiker galten, begleiten heute Menschen in allen Phasen ihres Lebens.
Warum immer mehr Erwachsene spielen
Erwachsene sind heutzutage nicht nur nostalgisch auf der Suche nach Kindheitserinnerungen, wenn sie Character Toys kaufen, sondern integrieren diese in ihren Lifestyle und ihre Identität, nutzen sie, um kreativ zu sein und mit ihnen zu spielen. Minimalistische Plüschfiguren à la Miffy oder Hello Kitty, aber auch die nicht ganz so netten Labubu-Figuren und die Funko Pop!-Sammelfiguren sind längst nicht mehr nur etwas für Kinder. Man kann sie in Designer-Vitrinen, auf trendigen Schreibtischen und in Instagram-Feeds finden. Sie fungieren als Einrichtungsgegenstände, emotionale Bezugspersonen und Hilfsmittel für Storytelling. Diese Entwicklung markiert einen kulturellen Wendepunkt, wenn es um unser Verständnis von Spiel, Freude und persönlicher Sinnsuche geht.
Vielschichtiges Spielerlebnis
Warum bleiben Toys auch im Erwachsenenalter attraktiv? Meine Erfahrung rund um dieses Thema zeigt, dass es sechs Elemente gibt, die für Erwachsene hier von Bedeutung sind: die physische Dimension, die Funktionalität, das fiktionale Element, Zuneigung, der Faktor Zeit sowie soziale Elemente.

Physisch sorgen Spielsachen für haptisches Erleben - ihre Form, ihr Gewicht und ihr Material fordern einen geradezu auf, sie anzufassen, aufzubauen und auszustellen. Funktional sind die Toys oft viel mehr als reine Dekoelemente, denn man kann sie für Photoplay-Aktionen und Fotostorys nutzen, als Einrichtungsgegenstände verwenden und sogar mit ihnen sprechen.
Das fiktionale Element verkörpert die Geschichten, die den Character Toys innewohnen. Jede Figur hat ihre eigene Persönlichkeit mit individuellem Background, über den man sich eine eigene Welt aufbauen und dabei seiner Fantasie freien Lauf lassen kann. Character Toys sprühen förmlich vor Geschichten, die mithilfe von „Toyrism“ zum Leben erweckt werden können, indem man mit ihnen gedanklich auf Reisen geht und imaginäre Destinationen erkundet.
Der Aspekt Zuneigung und der Faktor Zeit sorgen für eine emotionale Verbindung über verschiedene Zeitschienen hinweg. Viele Character Toys begleiten Erwachsene in schwierigen Übergangsphasen ihres Lebens oder werden zu Platzhaltern für ganz besondere Momente. Aufgrund ihrer sozialen Elemente haben sich die Character Toys natürlich längst ihren festen Platz im Internet und bei Online-Communities erobert, wo sie für gemeinsames Storytelling, Fandom und Sammelaktivitäten genutzt werden.
Sammeln, individuelle Gestaltung und das Erzählen von Geschichten
Für viele Kidults ist das Sammeln von Toys eine Form von Selbstverwirklichung. Character Toys stehen häufig für bestimmte Themen, Werte oder ästhetische Welten. Wenn man sie in Regalen drapiert, zur Gestaltung von Innenräumen nutzt oder in Fotostorys festhält, erschafft man visuelle Tagebücher, die den eigenen Geschmack und persönliche Erinnerungswelten widerspiegeln.
Durch individuelle Veränderungen wird diese Beziehung noch vertieft. Wenn man einer Figur eine neue Farbe oder Kleidung verpasst oder sogar an ihrer Struktur etwas verändert, werden aus Massenartikeln persönliche Kunstwerke. Auf diese Weise kann man sich selbst ausdrücken und – das ist das Gute dabei – man handelt auch noch nachhaltig, weil man das Leben eines Produkts verlängert und Nein zur Wegwerfgesellschaft sagt.
Durch das Sammeln von Figuren eröffnen sich auch zahlreiche Möglichkeiten, Geschichten zu erzählen. Viele Sammler schreiben Geschichten, erstellen Fotostorys oder produzieren Filme, in denen ihre Spielzeugfiguren die Hauptakteure sind und die häufig witzig, berührend und visuell durchaus ansprechend sind. Wir haben es hier übrigens nicht mit kindlichen Fantastereien zu tun, sondern mit ausgefeilten Storyboards und Figuren, die gekonnt designte und wohl durchdachte Welten bevölkern.
Toy Dramas und Photoplay
Besonders populär ist das Erzählen von Geschichten im Rahmen von Photoplay-Stories. Hierzu werden die Figuren in Position gebracht und die einzelnen Szenen abfotografiert - fertig ist das Toy Drama, das manchmal auch als Doll Drama bezeichnet wird. Photoplay-Stories sind in den sozialen Medien überaus beliebt, weil man so seine kreativen Welten mit anderen teilen kann, Feedback erhält, eine Community aufbauen und seine Storytelling-Kompetenzen weiter verfeinern kann.
3 Kernelemente von Photoplay

Photoplay sorgt dafür, dass aus Character Toys mehr als bloße Sammlerstücke werden. In unserer bilderfixierten Gesellschaft werden sie auf diese Weise zu Hilfsmitteln, mit denen man Geschichten erzählen, seine Identität erkunden und gemeinsam mit anderen kreativ sein kann.
Mobilität: Weil Character Toys meistens klein sind, kann man sie überall mit hinnehmen: auf Reisen, zu gesellschaftlichen Events, in den Urlaub. Gleichzeitig bieten sie ohne viel Aufwand in den eigenen vier Wänden einen Blickfang.
Beweglichkeit: Bewegliche Gliedmaßen machen es möglich, durch die Figuren Stimmungen auszudrücken und Gesten nachzustellen. Dadurch wird die Darstellung lebensnäher.
Fotogenität: Character Toys, die sich gut fotografieren lassen, haben einen höheren Spielwert. Erreicht wird das durch ausdrucksstarke Gesichter, ausgefallenes Design und eine hohe visuelle Präsenz.
Toy-Aktivismus: Wenn aus Spiel Protest wird
Character Toys werden aber keineswegs nur zur Selbstverwirklichung und zu künstlerischen Zwecken genutzt, denn auch Aktivisten haben sie als aufmerksamkeitsstarkes Medium entdeckt. Erwachsene verwenden Character Toys immer häufiger auf Straßen und Plätzen und im Internet, um auf politische oder gesellschaftliche Missstände hinzuweisen.

Mithilfe dieses Toy-Aktivismus macht man sich den entwaffnenden Charme der Figuren zu Nutze, um Kriegstreiberei, Konsumwahn, Geschlechterrollen oder Umweltverbrechen an den Pranger zu stellen. Mithilfe von umgestalteten Puppen, Aktionsfiguren und Plüschtieren wird der Blick der Zuschauer auf sanfte und doch sehr eindrückliche Weise auf komplexe Fragestellungen gelenkt.
Es gibt Kampagnen zur Stärkung von Diversität, für Tierschutz und gegen Rassismus, die eindrucksvoll beweisen, dass auch Spielzeuge starke Botschaften transportieren können. In der Welt der Kreativen steht Toy-Aktivismus generell für die Förderung von inklusivem Design, neuartige Protestformen und optisch ansprechenden Widerstand.
Die Zukunft der Character Toys
Für die Zukunft der Character Toys dürften vier Elemente entscheidend sein: Design, Technologie, Lifestyle und die digitale Welt. Die sozialen Medien dürften auch in Zukunft ausschlaggebend dafür sein, wie Toys aussehen, bespielt werden und geteilt werden. Hier lassen sich zwei Haupttrends feststellen:
Virale Toys sind Dinge, die sich aufgrund ihrer ansprechenden Optik, der Emotionen, die sie transportieren, und ihrer Teilbarkeit über Plattformen schnell online verbreiten können. Nehmen wir das aktuelle Beispiel Labubu, wo der Erfolg nicht auf Massenwerbung beruht, sondern darauf, dass die Figuren bei erwachsenen Sammlern auf digitalen Plattformen auf großes Echo stoßen und so zu Kulturgütern werden.
KI-Toys beschreibtKI-gesteuertes Spielzeug, das in Echtzeit auf Nutzerverhalten reagiert, dürfte die nächste große Welle werden. Durch maschinelles Lernen, Robotik und natürliche Sprachverarbeitung können diese Toys sich ständig weiterentwickeln und anpassen. Das ermöglicht interaktive Spielerlebnisse mit einem hohen Grad an emotionaler Intelligenz. Diese neuen Spielzeuge sind nicht mehr statisch, sondern werden aufgrund ihrer Dynamik zu Freunden und Weggefährten – sie reagieren auf Fragen, sie saugen das auf, was man ihnen sagt und sie sind ganz individuell auf ihre Nutzer ausgerichtet.
Da die Technologie immer stärker mit althergebrachten Traditionen verschmilzt und die emotionale Bindung an das Produkt nach wie vor von zentraler Bedeutung ist, ist damit zu rechnen, dass die Character Toys von morgen immer mehr menschliche Züge haben werden.
Auch in der Welt von morgen wird es noch Spielwaren geben
Die Kidults haben es vorgelebt, und die Spielzeugbranche ist mittlerweile auf den Zug aufgesprungen: Spielen ist nicht nur etwas für Kinder, sondern auch für Erwachsene in allen Lebenslagen. Mit Character Toys können Erwachsene kreativ sein, sich mit anderen Menschen verbinden, über wichtige Fragen nachdenken und sogar Widerstand leisten. Es geht hier nicht nur um Nostalgie. Vielmehr bieten Character Toys uns einen Spiegel der inneren Welt, eine Miniaturbühne für große Ideen und verbindende Symbole in einer digitalen Welt.
Der Lebensstil ändert sich fortwährend und Erwachsensein wird von den nachkommenden Generationen anders definiert werden. Aber eines bleibt: Character Toys wird es auch in Zukunft geben und sie werden unser Leben und Spielen bereichern.
Über die Autorin
Die Spielzeug- und Spielforscherin Dr. Katriina Heljakka (Doctor of Arts, Ph.D.) von der Universität Turku erforscht Spielzeug sowie die visuellen, materiellen, digitalen und sozialen Kulturen des Spiels. Sie hat zwei Doktorarbeiten zum Thema Spiel verfasst und zahlreiche Publikationen über Spielkulturen veröffentlicht.


