
„Regionale Verwurzelung ist Teil unserer DNA“
Interview mit Julia Graeber, Vorstandsvorsitzende der VEDES AG

Von Anja Kummerow
Seit Anfang des Jahres 2025 steht Julia Graeber an der Spitze der traditionsreichen Fachhandelsorganisation. Mit klarem Blick auf Digitalisierung, Nachhaltigkeit und die nächste Unternehmergeneration will sie die Weichen neu stellen – ohne den Charakter der Marke zu verlieren. Im Interview spricht sie über aktuelle Trends, Herausforderungen im Markt und darüber, warum emotionale Nähe heute genauso wichtig ist wie digitale Reichweite.
Anja Kummerow: Frau Graeber, Sie haben zum Jahresbeginn die Führung der VEDES AG übernommen. Wie haben Sie die ersten Monate erlebt?
Julia Graeber: Die ersten Wochen waren intensiv, aber sehr motivierend. Es war kein Sprung ins Ungewisse, denn ich bin bereits seit sieben Jahren Teil des Unternehmens. Der Übergang in der Generationennachfolge war gut vorbereitet, Überraschungen blieben aus. Was mich jedoch sehr beeindruckt hat, ist die große Verbundenheit der Händler mit der VEDES und der Wunsch, gemeinsam mit uns an zukunftsfähigen Lösungen zu arbeiten. Diese Aufbruchstimmung spüren wir – und sie spornt an. Und dabei setzen wir auch auf eine konsequente Kundenzentrierung und stärken gezielt die regionale Präsenz – schließlich sind viele unserer Partner inhabergeführte Fachhändler.
Anja Kummerow: Was sind Ihre strategischen Ziele für die kommenden Jahre?
Julia Graeber: Unsere zentrale Aufgabe ist es, unsere zukunftsfähige Dienstleistungsplattform für den Fachhandel weiterzuentwickeln – stationär wie digital. Dafür setzen wir auf konsequente Kundenzentrierung, investieren in Omnichannel-Lösungen mit echtem Mehrwert, fördern gezielt die Vernetzung und stärken die Sichtbarkeit vor Ort. Regionale Verwurzelung ist Teil unserer DNA – und bleibt es auch in der digitalen Welt.
Anja: Kummerow: Ein wichtiges Thema im Handel ist die Unternehmensnachfolge. Wie geht VEDES damit um?
Julia Graeber: Das Thema beschäftigt uns schon lange. Die jüngere Unternehmergeneration hat oft andere Erwartungen – etwa an Digitalisierung, Führung oder Vereinbarkeit. Unsere Aufgabe ist es, hier passende Angebote zu machen: Austausch ermöglichen, neue Impulse von außen hereinholen, konkrete Werkzeuge bieten. Genau dafür haben wir unser Zukunftsnetzwerk aufgebaut – hier können sich Händlergenerationen vernetzen und voneinander lernen.
„Spielwaren bleiben emotional – auch im digitalen Zeitalter“
Anja Kummerow: Wie schätzen Sie die aktuelle Lage im Spielwarenhandel ein – in Deutschland und Europa?
Julia Graeber: Wir sehen unterschiedliche Stimmungen. In unseren europäischen Nachbarländern spüren wir mehr Zuversicht – dort wird mit mehr Mut in die Zukunft geschaut. In Deutschland dagegen dominieren oft Unsicherheit und Konsumzurückhaltung. Dazu kommen Herausforderungen wie steigende Kosten, Fachkräftemangel oder die Konkurrenz der Billig-Online-Plattformen aus Asien. Und dennoch bin ich überzeugt: Spielwaren bleiben ein emotionales Produkt – sie schaffen Erlebnisse, sie berühren, sie verbinden Generationen.
Anja Kummerow: Wie begegnet VEDES den Herausforderungen durch verändertes Konsumverhalten und den Online-Handel?
Julia Graeber: Unser Ansatz ist die Verbindung von Tradition und Innovation. Wir helfen unseren Händlern, vor Ort echte Einkaufserlebnisse zu schaffen – mit Beratung, Emotion und Qualität. Gleichzeitig stellen wir ihnen digitale Services zur Verfügung, um auf allen Kanälen präsent zu sein. Es geht nicht um online oder offline, sondern um das Beste aus beiden Welten.
Anja Kummerow: Wie sieht diese Verbindung konkret aus?

Julia Graeber: Unsere Plattform vedes.com ist ein gutes Beispiel: Sie kombiniert die Persönlichkeit und Beratungskraft unserer Fachhändler mit digitaler Reichweite und Komfort – von Click & Collect über Drop Shipment bis zur lokalen Händlersuche. Das stärkt nicht nur die Frequenz im stationären Handel, sondern bringt auch Sichtbarkeit im Netz. Unser Ziel ist klar: gemeinsam stark – lokal und digital.
„Digitalisierung ist kein Zukunftsthema mehr – sie ist Realität“
Anja Kummerow: Welche Rolle spielen datenbasierte Entscheidungen und KI-gestützte Tools bei VEDES?
Julia Graeber: Eine sehr große. KI ist längst keine Zukunftsmusik mehr, sondern gelebte Praxis. Wir arbeiten datenbasiert – etwa bei der Sortimentsplanung, im Marketing oder in der Logistik. Die Basis dafür ist eine saubere Datenstruktur. KI hilft uns, Prozesse zu automatisieren und gleichzeitig individueller auf Kundenbedürfnisse einzugehen. Und: Wir testen laufend neue Anwendungen – nicht alle überzeugen sofort, aber viele schaffen bereits spürbaren Mehrwert.
Anja Kummerow: Sie sprachen auch über Ihre Cloud-Lösung – was steckt konkret dahinter?

Julia Graeber: Unsere iPOS-Lösung ist ein zentrales Werkzeug für unsere Händler. Sie verbindet Warenwirtschaft, Kasse und CRM in einem System – cloudbasiert, effizient und skalierbar. Damit stärken wir den Fachhandel, ohne dass er seine Identität verliert. Es geht nicht darum, alles zu digitalisieren, sondern das Digitale gezielt für mehr Effizienz, Sichtbarkeit und Kundennähe zu nutzen.
Anja Kummerow: Und wie reagieren Sie auf den Fachkräftemangel im Handel?
Julia Graeber: Neben Prozessoptimierung setzen wir auch auf Lösungen wie Self-Checkout, um Stoßzeiten besser zu bewältigen. Gleichzeitig helfen digitale Tools dabei, personelle Engpässe auszugleichen – zum Beispiel durch automatisierte Bestellungen oder digitale Sortimentspflege. So schaffen wir Entlastung, ohne an Qualität zu verlieren.
„Spielwaren müssen unterhalten – und fördern“
Anja Kummerow: Was sind derzeit die wichtigsten Trends im Spielwarenmarkt?
Julia Graeber: Wir beobachten zwei Bewegungen: Zum einen wächst die Nachfrage nach interaktiven, lernorientierten Produkten – also Spielzeug mit pädagogischem Mehrwert. Zum anderen erleben wir ein Revival des Analogen: Haptik, gemeinsames Spielen, Retrodesigns. Spielzeug soll heute oft beides sein – unterhaltend und sinnvoll, langlebig und nachhaltig.
Anja Kummerow: Ein spannender Trend ist auch die Zielgruppe der sogenannten Kidults – also Erwachsene, die sich das Spielen bewahrt haben. Beobachten Sie das auch?
Julia Graeber: Absolut. Kidults sind Erwachsene, die mit Sammelfiguren, Bausätzen oder Retro-Spielzeug kreativ bleiben und sich ein Stück Kindheit zurückholen. Marken wie Labubu oder Serien wie Squid Game prägen diese Zielgruppe. Für viele Händler ist das längst kein Nischenpublikum mehr, sondern ein fester Bestandteil ihrer Sortimentsstrategie. Diese Zielgruppe ist kaufkräftig – und sie wächst.
Anja Kummerow: Wie engagiert sich VEDES im Bereich Nachhaltigkeit?
Julia Graeber: Wir veröffentlichen freiwillig einen Nachhaltigkeitsbericht nach DNK-Standard. Darin dokumentieren wir Maßnahmen zur fairen Beschaffung, ressourcenschonenden Produktion und zu sozialen Standards. Nachhaltigkeit bedeutet für uns nicht nur Verantwortung – sondern auch wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit.
Anja Kummerow: Ein Wort noch zu Holzspielzeug: nachhaltig oder nicht?
Julia Graeber: Das kommt ganz auf die Herkunft an. Nachhaltig zertifiziertes Holz – etwa mit FSC-Siegel – ist ein wunderbares Material: langlebig, robust, generationsübergreifend nutzbar. Wichtig ist: nicht der Look zählt, sondern die Lieferkette. Ein Produkt aus Regenwaldholz ist sicher nicht nachhaltig – eines aus einem kontrollierten Forstbetrieb dagegen sehr wohl.
„Wettbewerb braucht Fairness – auch online“
Anja Kummerow: Wie sehen Sie den Wettbewerb mit globalen Online-Plattformen?

Julia Graeber: Unsere Fachhändler haben Stärken, die kein Algorithmus ersetzen kann: Beratung, Nähe, Erlebnis. Wenn sie diese Stärken gezielt ausspielen – und mit digitalen Services kombinieren – haben sie sehr gute Chancen. Aber: Der Wettbewerb ist nicht fair. Spielzeugsicherheit, Steuern, Zoll – all das gilt nicht für jeden gleich.
Anja Kummerow: Können Sie das konkretisieren – etwa im Hinblick auf Plattformen wie Temu oder Shein?
Julia Graeber: Natürlich. Plattformen wie Temu oder Shein unterbieten oft massiv die Preise – aber auf Kosten von Produktsicherheit, Transparenz und Steuermoral. Während Händler und Lieferanten in Europa strenge Vorgaben zur Kennzeichnung, Materialprüfung und Produkthaftung erfüllen müssen, tauchen auf diesen Plattformen regelmäßig Produkte auf, die keine CE-Kennzeichnung tragen, keine prüfbare Herkunft aufweisen und im Fall von Reklamationen niemanden haftbar machen.
Anja Kummerow: Können Sie das konkretisieren – etwa im Hinblick auf Plattformen wie Temu oder Shein?
Julia Graeber: Ganz genau. Wenn sich ein Spielzeug als gefährlich herausstellt, ist es vielleicht kurz offline – aber das baugleiche Produkt taucht wenig später unter neuem Namen wieder auf. Und wenn etwas passiert, kann ein deutscher Verbraucher den chinesischen Hersteller kaum belangen – oder gar haftbar machen. Im Extremfall geht es um elektronische Spielzeuge, die Brände auslösen könnten – da steht plötzlich die Produktsicherheit im Wohnzimmer zur Diskussion. Gleichzeitig werden Zollgrenzen umgangen, um gezielt keine Steuern zu zahlen. Das verschafft diesen Plattformen enorme Preisvorteile – während unserer Händler für jedes Teil volle Abgaben leisten. Die bürokratischen Regularien treffen den Mittelstand, nicht den Versand aus Fernost. Das ist kein Wettbewerb auf Augenhöhe.
Anja Kummerow: Was fordern Sie konkret von der Politik?
Julia Graeber: Es braucht einen fairen digitalen Binnenmarkt – mit klar kontrollierbaren Mindeststandards, einheitlichen Sicherheitsvorgaben und wirksamer Rechtsdurchsetzung auch für außereuropäische Anbieter. Jeder, der im EU-Markt verkauft, muss auch die Regeln einhalten – das gilt für kleine Händler genauso wie für globale Plattformen. Nur dann haben unsere Fachhändler eine faire Chance.
Anja Kummerow: Zum Schluss: Was möchten Sie Handel und der Kundschaft mit auf den Weg geben?
Julia Graeber: Ich wünsche mir mehr Mut zur Gestaltung. Der Spielwarenhandel hat eine Zukunft – wenn wir sie gemeinsam aktiv anpacken. Mit Begeisterung, Verantwortung und dem festen Willen, Generationen Freude zu schenken.
Über die Autorin
Anja Kummerow hat als Wirtschaftsredakteurin der Nürnberger Zeitung mehr als 20 Jahre lang über Nürnbergs spannende Unternehmen sowie viele interessanten Messen wie die Spielwarenmesse berichtet. Seit 2020 ist sie selbstständig als Journalistin, Redenschreiberin und Buchautorin.


