
Startups Teil 5: Auch Global Player fangen klein an
Die Erfolgsstory von tonies und was Gründer daraus lernen können

Von Sibylle Dorndorf
Die Geschichte von tonies beginnt im Jahr 2013 in einem Kinderzimmer. Die Töchter des Grafikdesigners Patric Faßbender sind drei und fünf Jahre alt und extrem Hörspielaffin. Patric Faßbender sucht nach einer Alternative zu zerkratzten und gebrochenen Hörspiel-CDs. Er beschäftigt sich mit den Themen Produktdesign für Kinder und Hören im Kinderzimmer. Für die technische Ausarbeitung holt er seinen späteren Mitgründer, den Ingenieur Marcus Stahl, ins Boot. Stahl, ebenfalls Vater zweier Kinder, und Faßbender kreieren ein geniales Produkt: Einen würfelförmigen Lautsprecher, der Hörgeschichten und Musik abspielen kann, sobald eine speziell entwickelte Hörfigur – ein sogenannter Tonie – darauf platziert wird. Der Verzicht auf technisches Chichi und die einfache Bedienung der Toniebox sind der Schlüssel zu einem gigantischen Erfolg. Denn Patric Faßbender und Marcus Stahl wagen den entscheidenden Schritt und gründen das Startup Boxine GmbH.
2016: tonies auf der Spielwarenmesse
Am 26. Januar 2016 stellen Patric Faßbender und Marcus Stahl ihre Toniebox auf der PressPreview in Nürnberg vor. Mit einem 46 Quadratmeter großen Messestand beteiligen sie sich an der anschließenden Spielwarenmesse. Die Präsentation konzentriert sich aus Kostengründen auf das Wesentliche: Eine überdimensionale Hörspielfigur schwebt über einer tischgroßen Toniebox. Der Fokus der Inszenierung liegt ganz auf dem Kern des Produkterlebnisses. Im Sommer 2016 bringt Boxine die ersten Tonieboxen sowie 14 Tonies auf den Markt.
Beifall aus den Medien und dem Handel

Die Toniebox sorgt schon auf der Press Preview der Spielwarenmesse für Furore. Ein Medienecho, das die Gründer schier überrollt.
Auch die ansonsten Innovationen gegenüber eher zurückhaltende Händler- und Einkäuferschaft erkennt das Potenzial des Produkts.
Und es kommt noch besser: Die Begeisterung des Handels wird vom Endkunden geteilt.
In den ersten drei Monaten verkauft sich die Toniebox 30.000 Mal. Im Jahr darauf gehen fünfmal so viele Boxen über die Theken.
Der Rubel rollt
Die beiden Gründer produzieren neue Hörinhalte. Ihnen gelingt eine kindgerechte Mischung aus Musik, Wissen und Unterhaltung. Noch keine drei Jahre am Markt überschreitet die Boxine GmbH die Schwelle von 50 Millionen Euro Umsatz.
Patric Faßbender und Marcus Stahl bleiben am Boden. Sie überfordern weder sich noch den Handel und den Markt, sondern erweitern ihre Produktpalette praktisch orientiert.
2017: tonies und das Lizenzgeschäft
Bis zum Jahr 2017 müssen Patric Faßbender und Marcus Stahl Überzeugungsarbeit leisten, um Lizenzen zu erwerben. Ab 2018 wendet sich das Blatt: Attraktive Lizenzangebote häufen sich.
Die Verkaufszahlen steigen stetig. Von 2017 bis 2020 wächst der Umsatz auf mehr als 100 Millionen Euro. Regelmäßig kommt es an Weihnachten zu Lieferengpässen.
2018: Boxine wird zum Global Player
Ab Oktober 2018 werden die Tonieboxen in UK und in Irland vertrieben. 2020 geht die Reise weiter über den großen Teich – die Toniebox erobert die USA. Im September 2021 startet der Vertrieb in Frankreich. Im Oktober 2023 geht tonies auf den kanadischen Markt. 2024 expandiert das Unternehmen nach Australien und Neuseeland. Heute sind die Produkte in über 28 Ländern auf vier Kontinenten erhältlich.
2019: Ruhm und Ehre und ein Break
Die Innovationskraft des Unternehmens wird mit zahlreichen Auszeichnungen belohnt.
2016: Verleihung des Red Dot Design Awards
2017: Auszeichnung mit dem iF Design Award
2019: Patric Faßbender und Marcus Stahl erhalten den Deutschen Gründerpreis in der Kategorie Aufsteiger.
Im September 2019 steigen die Münchner Industrieholding Armira und andere Investoren bei dem Startup ein. Die Gründer Patric Faßbender und Marcus Stahl bleiben im Unternehmen, beide sind Anteilseigner.
2021: Neuer Name und der Börsengang
Der Produktname Tonies schlägt mit seiner ständig wachsenden Bekanntheit den Unternehmensnamen: Aus Boxine wird die tonies SE. Das Unternehmen wagt den Börsengang. Am ersten Handelstag entwickelt sich die Aktie bereits rasant.
2023: KI kommt ins Spiel
Im Mai 2023 stellt der Konzern einen Geschichten-Generator auf Basis von ChatGPT vor. Eltern und Kinder können mit der tonies®App auf eine kindgerecht optimierte Version von ChatGPT zugreifen und mittels Künstlicher Intelligenz neue Kurzgeschichten erfinden.
2024: Tobias Wann wird CEO
Im Januar 2024 löst Tobias Wann als CEO Marcus Stahl und Patric Faßbender, ab. Die Gründer ziehen sich aus dem operativen Geschäft zurück, bleiben dem Unternehmen aber als Berater erhalten. Die internationale Expansion des Düsseldorfer Unternehmens steht fortan im Fokus.
2025: Next Level – Toniebox 2 und Tonieplay
Im August 2025 gibt tonies die Markteinführung der Toniebox 2 bekannt, der bisher bedeutendsten Innovation des Unternehmens.
Parallel dazu führt tonies mit Tonieplay eine völlig neue Art des Spielens ein: Tonieplay verwandelt die Toniebox 2 in ein bildschirmfreies Hör-Spiel-Erlebnis, bei dem Kinder mit dem Tonieplay-Controller selbst bestimmen, was passiert.
Eine neue Ära beginnt
Seit Januar 2024 führt Tobias Wann die tonies SE als CEO. Wann hat an der Universität Witten/Herdecke den Startschuss seiner Karriere gesetzt und wird im Uni-Blog mit folgenden Worten beschrieben: Vom visionären Studenten bis zum CEO eines innovativen Unternehmens. Er ist es, der tonies in die Zukunft führt.
Die Einführung der Toniebox 2 kommentiert Tobias Wann folgendermaßen: „Mit der Einführung der Toniebox 2 präsentieren wir zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte eine völlig neue Generation unserer Toniebox. Dabei ist die Toniebox 2 viel mehr als nur eine aktualisierte Version des Originals – dank ihres interaktiven Designs können selbst die Kleinsten mit einfachen, intuitiven Gesten die Kontrolle über ihr Hör- und Spielerlebnis übernehmen. Der nahtlose Übergang vom linearen Hören über das aktive Entdecken bis hin zu erholsamem Schlaf ist so designt, dass er Unabhängigkeit und Selbstvertrauen von Kindern fördert, während sie lernen, spielen und wachsen. Mit diesen erweiterten Funktionen entwickelt sich tonies vom täglichen Geschichtenerzähler zu einem Begleiter für den ganzen Tag.“
Zeitsprung: Back to the roots
Ein Rückblick und viele Einblicke mit den tonies-Gründern Patric Faßbender und Marcus Stahl.
Nachgefragt
Patric Faßbender, Marcus Stahl, Sie präsentierten Ihre Idee auf der Spielwarenmesse 2016 einem breiten Branchenpublikum. Wie waren die ersten Reaktionen auf Ihr Konzept?

Patric Faßbender: Wir hatten die Toniebox ja schon einer maximal kritischen Jury präsentiert, bevor wir nach Nürnberg kamen: nämlich unseren Kindern und den Kindern unserer Freunde. Insofern sind wir zwar mit Respekt, aber auch mit viel Vorfreude zur Spielwarenmesse gefahren.
Marcus Stahl: Dass wir von unseren Fachkollegen dann ausgesprochen positives Feedback erhalten haben, hat uns natürlich sehr gefreut. Wir haben tatsächlich mit mehreren Leuten gesprochen, die die Toniebox für die erste wirkliche Branchen-Innovation seit mehreren Jahren hielten – dieses Lob kam gerade auch von internationalen Besuchern. Dadurch haben wir schon vor dem Launch im DACH-Markt gespürt, dass die Toniebox auch außerhalb des deutschsprachigen Raums reüssieren könnte. Das hat uns ehrlicherweise überrascht und uns zusätzlich motiviert, unser Produkt später auch in andere Länder zu bringen.
Patric Faßbender: Es ist faszinierend zu sehen, dass sich das, was 2016 in Deutschland passierte, bis heute in anderen Ländern wiederholt. Als tonies 2024 nach Australien und Neuseeland expandierte, stagnierte der dortige Spielzeugmarkt gerade. Seit dem Launch der Box geht es für die gesamte Industrie wieder bergauf. Das Produkt trifft fast überall, wo es hinkommt, auf eine überwältigende Nachfrage, weil es Kindern und Eltern gleichermaßen etwas bietet, das es in dieser Form noch nicht gab.
Was waren seinerzeit die größten Hürden, die Sie nehmen mussten?
Marcus Stahl: Gründen ist ein Langstreckenlauf mit Hindernissen: Wenn man von seiner Idee überzeugt, gut vorbereitet, und erst einmal im Arbeitsrhythmus ist, kann man an Hürden sogar wachsen und zusätzliches Tempo aufnehmen. Anfangs – vor dem Marktstart der Toniebox im Jahr 2016 – hat uns die Stoffhülle Kopfzerbrechen bereitet. Wir hatten immer den Anspruch, die Haptik der Box auch im Falle einer Massenproduktion in Manufakturqualität zu gestalten. Das stellte sich zunächst allerdings schwieriger heraus als erwartet. Nachdem wir dieses Hindernis gemeistert hatten, waren wir schon bald mit einem Luxusproblem konfrontiert: nämlich Wachstum zu managen, also nicht mehr Architekten eines Spielzeugs, sondern einer Organisation zu sein. Das war ein Rollentausch, den wir aber von vornherein eingepreist hatten.
Was würden Sie heute Gründern raten?
Patric Faßbender: Wir sind im Gespräch mit vielen Gründerinnen und Gründern aus ganz Deutschland. Das sind in der Regel sehr kreative Menschen mit unglaublich vielen Ideen. Oft gibt es aber (noch) nicht die Ressourcen, alle Gedanken umzusetzen. Deshalb ist es genauso wichtig, sich auf das Wesentliche zu fokussieren und nicht nur zu priorisieren, was man tut – sondern auch, was man sein lässt. Man darf sich schlichtweg nicht verzetteln.
Das wird umso leichter gelingen, je besser das Team um einen herum ist. Dies war für uns eine der wesentlichen Erfahrungen, als wir von Architekten der Toniebox zu Architekten unseres Unternehmens wurden. Insofern können wir allen Gründerinnen und Gründern nur zurufen: Holt Euch Leute an Bord, die von ihrem Fach mehr verstehen als Ihr selbst. Das bringt nicht nur das Unternehmen voran, sondern erweitert Euren Horizont ungemein.
Marcus Stahl: Vor allem aber sollte man alles daransetzen, sein Ziel auch bei Rückschlägen mit derselben Energie und Leidenschaft zu verfolgen wie am ersten Tag. Es mag schwierig sein, Widerstände als Lernerfahrungen zu akzeptieren, wenn Zeitpläne gerissen oder Prototypen nachgebessert werden müssen. Aber sobald es gelingt, werdet Ihr umso mehr Spaß daran haben, wenn aus Eurer Gründungsidee eine Erfolgsgeschichte wird.
tonies ist die weltweit führende interaktive Audioplattform für Kinder. Das intuitive Audiosystem hat die Art und Weise verändert, wie kleine Kinder unabhängig spielen und lernen.
Das Unternehmen beschäftigt mehr als 560 Mitarbeitende und erzielte im Geschäftsjahr 2024 einen Gruppenumsatz von 481 Millionen Euro (+33 Prozent gegenüber dem Vorjahr). Im ersten Halbjahr 2025 verzeichnete tonies einen währungsbereinigten Konzernumsatz von 176,6 Millionen Euro, was einem Anstieg von 20,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht. Die Ankündigung der Toniebox 2 und von Tonieplay lässt die tonies-Aktie spürbar anziehen.
Zur Webseite: tonies
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Über die Autorin
Sibylle Dorndorf schreibt seit fast 30 Jahren über die Spielwarenbranche, zuletzt war die Journalistin Chefredakteurin der TOYS-Magazinfamilie im Göller Verlag, Baden-Baden. Ihre Passion: Unternehmen, die sich neu erfinden, Marken, die sich glaubwürdig positionieren, Menschen, die etwas zu sagen haben und Produkte mit Zukunft.


