30 Jahre PIKO Spielwaren GmbH

Modellbahn-Produzent aus Leidenschaft

Von Peter Pernsteiner

Seit 70 Jahren werden im thüringischen Sonneberg PIKO-Eisenbahnen gefertigt. Vor ziemlich genau 30 Jahren retteten Ortrun D. Wilfer und Dr. René F. Wilfer das ehemalige DDR-Unternehmen vor dem endgültigen Aus. Heute steht PIKO auf soliden Füßen und spielt technologisch in der Modellbahnbranche vorne mit.

Auf der Spielwarenmesse zeigt sich Dr. Wilfer jedes Mal mit einer neuen extravaganten Brille – hier eine Aufnahme vom Februar 2017 (Foto: Pernsteiner)

Auf der Spielwarenmesse haben die ungewöhnlichen Brillen des PIKO-Geschäftsführers Dr. René F. Wilfer inzwischen schon fast denselben Kultstatus, wie die Brillen von Elton John in der Musikwelt. Jedes Jahr lässt sich Wilfer eine neue Brille designen, die meist mit der Modelleisenbahn- oder Spielzeugwelt zu tun hat. Schon allein deshalb ist es schade, dass 2021 und 2022 Corona-bedingt in Nürnberg keine Messe stattfinden konnte. Allerdings gibt es einen Grund, warum gerade jetzt einfach mal ein paar Zeilen über PIKO geschrieben werden müssen – ein rundes Jubiläum: Am 1. Mai 1992 erhielten Dr. Wilfer und seine Ehefrau Ortrun D. Wilfer die Schlüssel für ihren damals von der Treuhandanstalt übernommenen Betrieb und starteten als leidenschaftliche Modellbahn-Hersteller.

Der Anfang mit „Pico-Express“

Mit dem Pico-Express begann 1949 die nun bereits 73-jährige Geschichte des Unternehmens (Foto: PIKO)

Bereits seit über 70 Jahren gibt es PIKO-Eisenbahnen. 1949 begann die Produktion der Miniatur-Tischeisenbahn unter dem ursprünglichen Namen „Pico-Express“. Firmensitz war damals Chemnitz in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone, die bald darauf zur Deutschen Demokratischen Republik DDR wurde. Dies lässt erahnen, dass das Unternehmen eine bewegte Geschichte hinter sich hat. 1952 wurde die Produktion nach Sonneberg in Thüringen in ein ehemaliges Werk von Siemens und Halske verlagert und aus Pico wurde PIKO (Pionier-Konstruktion). 1962 floss erstmals PIKO in den Firmennamen (VEB PIKO Sonneberg) und 1981 wurde das Unternehmen in das „Kombinat Spielwaren Sonneberg“ eingegliedert. Dann kam 1989 der denkwürdige 9. November mit der Grenzöffnung und die daraufhin gebildete Treuhandanstalt wandelte 1990 den Volkseigenen Betrieb VEB PIKO in die PIKO GmbH Sonneberg um.

Wie es der Zufall will, ist 1949 nicht nur der Start der damaligen Pico-Express-Eisenbahn, sondern auch das Geburtsjahr von René Wilfer. Alte Kinderfotos von ihm belegen, dass er schon im Sandkasten Freude mit H0-Eisenbahnen hatte. Und er scheint seit seiner Kindheit für die Modellbahn förmlich zu „brennen“: „Während andere Schulfreunde als Berufstraum Lokführer hatten, wollte ich Eisenbahnen produzieren, wenn ich einmal groß bin,“ resümiert Wilfer. Allerdings dauerte die Erfüllung dieses Traumes bis 1992.

Ende als unrentables Unternehmen?

Schon im Jahr 1954 war René Wilfer sichtlich von der Modelleisenbahn begeistert (Foto: PIKO)

Eigentlich sollte die PIKO-Produktion aus Sicht der Treuhand-Anstalt Ende 1991 als „unrentabel“ eingestellt werden. Es kam aber vollkommen anders, berichtet Wilfer: „1990 reisten meine Frau Ortrun und ich als Designerin und Geschäftsführer eines Herstellers von Modellbahn-Gebäuden erstmals in die frühere DDR, um uns die Arbeitsweise der dortigen Spielwaren- und Modellbahngeschäfte anzusehen. Zudem besuchten wir Zubehör-Hersteller in Sachsen, um mögliche Kooperationen zu sondieren.“ Im Jahr darauf war das Ehepaar Wilfer erstmals bei PIKO und machte sich einen Eindruck von den Produktionsstätten. „Damals hätten wir 800 Mitarbeiter übernehmen sollen und die Kaufpreisvorstellung der Treuhand war wirklich sehr extrem“, blickt Wilfer nachdenklich zurück.

Als Anfang 1992 PIKO immer noch zur Disposition stand, hat er sich erstmals konkret mit befreundeten Bankern zusammengesetzt und im April 1992 der Treuhand ein Angebot zum Kauf der Assets der PIKO GmbH Sonneberg unterbreitet. Am 30. April kam es dann laut Wilfer regelrecht zum Showdown: „Nach sehr zähen Verhandlungen haben wir uns unmittelbar vor Ablauf der zwischen uns vereinbarten endgültigen Deadline kurz vor Mitternacht endlich einigen können. Ich musste neben der Zahlung eines höheren 7stelligen Betrages auch den Erhalt von 80 Arbeitsplätzen garantieren und eine Investition von mehreren Millionen D-Mark in Sonneberg zusichern.“ Anschließend war dann die offizielle Schlüsselübergabe an die von ihm im April vorsorglich gegründete PIKO Spielwaren GmbH.

In die Zukunft investiert

Unmittelbar nach der Firmenübernahme wurde bereits kräftig investiert – hier ein Bild von 1993 mit der damals neu bestückten Kunststoffspritzerei (Foto: PIKO)

„Von Anfang an bekräftigten meine Frau und ich bei den übernommenen Mitarbeitern, dass wir nicht nur den früheren Stellenwert der PIKO-Modellbahn anstreben, sondern diese Marke zu einem wirklich renommierten Produkt machen wollen“, erinnert sich Wilfer und konkretisiert: „Deshalb haben wir gleich von Anfang an die komplette Kunststoffspritzerei erneuert. Zudem investierten wir auch in eine moderne CAD-Anlage mit 3D-Funktion und erweiterten die Tampondruck-Abteilung.“

Nachdem Wilfers Ehefrau Ortrun bereits seit 1986 umfassend in der Gestaltung von Gebäudemodellen für Garteneisenbahnen im Maßstab 1:22,5 tätig war, gründete sie im Rahmen des Kaufs von PIKO eine eigene Firma für Gebäudemodelle für die Maßstäbe 1:160 (Spur N), 1:87 (H0) und 1:22,5 (Spur G). „Vor allem die Gartenbahn-Gebäude fanden schnell großen Anklang – sogar in den USA“, freut sich Wilfer noch heute. Vielleicht war dieser Erfolg auch einer der Gründe, dass PIKO bereits 1995 in die Produktion von Lok- und Wagenmodellen der Spur G für die Firma LGB einstieg. So entstanden unter der Produktionshoheit von PIKO unter anderem die Dampfloks "Oho" und "CASEY" und später auch der LCE-Zug im Look eines ICE sowie verschiedenste LGB-Wagen. Im LGB-Jubiläumsjahr 1998 wurde laut Wilfer aufgrund großer Nachfrage neben LGB-Start-Sets sogar die Dampflok „Stainz“ bei PIKO gefertigt. „Ich bin immer noch sehr zufrieden darüber, dass wir damals von der Firma Lehmann die Produktion von LGB-Loks übertragen bekommen hatten“, bekräftigt Wilfer, „und ich bin sehr stolz, dass wir die Dampflok "CASEY" in Sonneberg sogar konkurrenzfähiger produzieren konnten, als der bisherige LGB-Lieferant in Korea.“

Eigenes Gartenbahn-Sortimen

Noch heute fertigt PIKO alle Loks, Wagen, Gleise und Gebäudemodelle des Gartenbahn-Spur G-Sortiments mit 45 mm Spurweite in Sonneberg – allerdings nicht mehr für LGB, weil das Unternehmen bekanntlich 2006 erstmals in Insolvenz ging und später von Märklin übernommen wurde. „Es wäre schade gewesen, wenn wir unser langjähriges Gartenbahn-Knowhow einfach aufgegeben hätten“, erzählt Wilfer, „deshalb war es naheliegend, dass wir ein eigenes Gartenbahnprogramm mit Regelspurfahrzeugen in Maßstäben zwischen 1:26 und 1:29 auf die Beine stellten und dieses erstmals auf der Spielwarenmesse 2006 präsentierten.“ Seither entwickelt PIKO jedes Jahr mindestens ein bis zwei neue Gartenbahn-Loks und auch passende neue Wagenmodelle. Allerdings ist der Gartenbahn-Markt laut Wilfer seit der Insolvenz der Firma Lehmann im Jahre 2006 sehr stark zusammengebrochen und hat sich bis heute nicht mehr auf das frühere Niveau erholen können.

Volumenproduktion in China

In den Nenngrößen H0 (1:87), TT (1:120) und N (1:160) gibt es viel mehr Modellbahn-Fans und das ist laut Wilfer auch der Grund, dass er Loks, Wagen und Gleise für diese Spurweiten seit vielen Jahren fast ausschließlich in China produziert – allerdings nicht in einer Fremdfabrik, sondern vollkommen unter eigener Regie. "Wir haben sehr schnell gemerkt, dass es mit einer reinen Lohnfertigung in Fernost bei weitem nicht getan ist", unterstreicht Wilfer, "denn unsere Kunden erwarten, dass unsere Modelle auch nach Jahren noch zuverlässig funktionieren. Wenn wir uns nicht bereits im Jahr 2006 entschieden hätten, eine eigene Fabrik in Chashan in der chinesischen Provinz Guangdong zu bauen, würde PIKO vermutlich heute nicht mehr existieren. Wir wären dann gegen die ebenfalls überwiegend in Fernost gefertigten Konkurrenzprodukte einfach nicht mehr wettbewerbsfähig.“

Allerdings ist eine Fabrik in China laut Wilfer nur die halbe Miete, "weil sonst unser hoher Qualitätsanspruch an unsere Modelle nicht über die ganze Serienproduktion hinweg garantiert werden könnte. Deshalb sind mittlerweile regelmäßig mein Technischer Leiter oder ich selbst in unserem Werk in Chashan. Ich persönlich bin nicht nur gelegentlich und kurz in China, sondern kümmere mich oft wochenlang höchstpersönlich um den Werdegang der PIKO Modelle.“ Aktuell ist Dr. Wilfer seit dem 21. März 2022 wieder einmal in China und nimmt es sogar auf sich, vier Wochen in Hotel-Quarantäne zu darben, und das „nicht immer in sehr guten Hotels“. Er will dort bis Anfang Juni bleiben. Insofern bedauert er zwar sehr, dass er ausgerechnet zum 30sten Jubiläum seiner Firmenübernahme gar nicht in Sonneberg ist, "aber ich möchte einfach sicherstellen, dass unsere Kunden mit unseren Produkten wirklich zufrieden sind." Aus seinem Werk in China macht Wilfer im Gegensatz zu anderen Unternehmen kein großes Geheimnis, sondern thematisiert dies sogar proaktiv in Video-Log-Berichten, die er im Rahmen seiner China-Aufenthalte auf dem PIKO-YouTube-Kanal in der Playlist „Dr. Wilfer hautnah“ veröffentlicht.

Mehr als 600 Mitarbeiter an zwei Standorten

Das PIKO-Werk in Chashan beschäftigt aktuell 450 bis 500 Mitarbeiter und dort werden pro Jahr weit mehr als 100.000 Loks, mehr als 200.000 Wagen und weit mehr als eine Millionen Gleise gefertigt. Ein Großteil des in China produzierten Verkaufsvolumens entfällt auf die Spurweite H0, der Rest verteilt sich gleichmäßig auf N und TT. Für 2022 hat sich Wilfer auch wieder einiges vorgenommen: „Allein in H0 wollen wir im Laufe des Jahres sieben komplett neu konstruierte Loks und zwei neue Waggons zur Auslieferung bringen – eine der neuen Loks sogar in vier unterschiedlichen internationalen Varianten. Aber auch in N produzieren wir eine vollkommen neue Lok und zwei weitere Formneuheiten kommen in TT. Und bitte vergessen Sie nicht, dass wir heuer auch für die Spur G eine neue Lok und zwei neue Wagen auf den Markt bringen werden, die wir in Sonneberg fertigen.“ 

Ein 57 cm langer Dampflokklassiker und ein funktionstüchtiger Selbstentladewagen sind zwei aktuelle PIKO-Gartenbahn-Neuheiten (Foto: PIKO)

Wilfer legt großen Wert darauf, dass nicht nur hochpreisige PIKO-Produkte für eingefleischte Modellbahner in den Handel kommen: „Wir denken natürlich bei unserem Sortiment auch an den Nachwuchs. Deshalb haben wir beispielsweise in H0 heuer fünf Startsets mit Zügen aus verschiedensten Bahnepochen in unserem Neuheitenkatalog. Sie haben einschließlich Gleisen und Fahrregler Preisempfehlungen zwischen 160 und 190 Euro. Und für ganz junge Kunden bringen wir jetzt erstmals Klemmbausteine-Niederbord-Wagen mit Noppensteinplatte für Systembausteine – sie kommen in H0 und für unsere Gartenbahn.“ In Sonneberg beschäftigt PIKO aktuell 175 Mitarbeiter und dort befindet sich neben der kompletten Fertigung von Gartenbahnmodellen und Zubehör sowie der Spritzguss-Produktion von Gebäudemodellen und dem Logistikzentrum inzwischen auch die Elektronik-Entwicklung von PIKO.

Elektronik-Kompetenz im eigenen Haus

2017 stellte PIKO den H0-Messwagen mit WLAN-Funktechnik als erste selbst entwickelte Elektronik-Innovation vor (Foto: PIKO)

Früher wurden die Digitaldecoder für Loks natürlich wie bei vielen anderen Modellbahnherstellern zugekauft – unter anderem von den Firmen ESU, Massoth und Uhlenbrock. „2015 haben wir uns entschieden, dass wir künftig unsere Elektronik unbedingt selbst entwickeln müssen, damit wir endlich von den Entwicklungszyklen und zum Teil schwerfälligen Reaktionszeiten unserer Zulieferer unabhängig werden“, erläutert Wilfer, „und 2016 begannen wir mit dem Aufbau unserer eigenen Elektronik-Entwicklungsabteilung.“ Das erste innovative Ergebnis dieser Arbeiten war die Vorstellung eines H0-Messwagens auf der Spielwarenmesse 2017. Das 184 mm lange Modell eines Güterwagens im Maßstab 1:87 kann neben der Geschwindigkeit und der zurückgelegten Wegstrecke auch Steigung und Neigung von Gleisen messen. Diese Daten werden nicht nur auf einem seitlichen Display angezeigt, sondern auch drahtlos per WLAN zu einer Smartphone-App übertragen. Zudem protokolliert der Wagen Messfahrten mit bis zu drei Stunden Dauer auf seinem Bordspeicher, der per USB-Kabel auslesbar ist. Nach dem großen Erfolg des H0-Messwagens kommen 2022 Messwagen für TT und für die Gartenbahn auf den Markt.

Auch in diesen von Dr. Wilfer präsentierten Neuheiten des Jahres 2022 spielen die selbst entwickelten PIKO SmartDecoder eine zentrale Rolle (Foto: PIKO)

„Ich bin wirklich froh, dass wir nun seit 2022 eine eigene, komplett selbst entwickelte Digitaldecoder-Familie, den PIKO SmartDecoder XP 5.1 haben, die wir bei auf die Produktion von Elektronikelementen spezialisierten Firmen in Europa und China produzieren lassen“, erklärt Wilfer. Diese „PIKO SmartDecoder“ gibt es inzwischen mit und ohne Sound sowohl für kleine Modelle in N, TT und H0 als auch in einer leistungsstärkeren Variante für die Gartenbahn-Modelle. Dazu passend bietet PIKO mittlerweile für ambitionierte Modellbahn-Digital-Fans ein entsprechendes Programmiergerät und einen Decoder-Tester sowie diverse Klein-Komponenten an - bis hin zu motorisiert beweglichen Stromabnehmern von E-Lok-Modellen. Damit dürfte PIKO auch bestens für die digitale Zukunft der Modellbahntechnik gewappnet sein.

Produktgruppe Modelleisenbahnen und Modellbau

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Über den Autor:

Peter Pernsteiner entdeckte mitten im Elektrotechnik Studium seine Liebe zum Technik-Journalismus und landete bald danach in der Redaktion einer großen ITK-Fachzeitschrift. Seit 1994 schreibt er als freier Journalist insbesondere über Technik-Themen – unter anderem für Magazine im Bereich Modelleisenbahn. 2016 startete er zudem einen YouTube-Kanal für Technikreportagen, der inzwischen weltweit Beachtung findet.

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