
Kind sein im Zeitraffer - Teil 2
Was Hersteller und Experten empfehlen
Von Sibylle Dorndorf
Welche Relevanz haben Altersempfehlungen, wenn Hersteller Spielzeuge designen und vertreiben? Wie ermitteln sie Altersangaben bei den Produkten? Wie sehr richten sich Eltern und Kaufende danach? Und in welchem Bereich oder Alter sind Altersangaben besonders wichtig? Diese Fragen beantwortet das Kindsgut-Team:
In welchem Bereich oder Alter sind Altersangaben besonders wichtig?

Es gibt verschiedene Altersstufen, die wir zur Einstufung heranziehen. Sie stellen entsprechende kindliche Entwicklungsstufen dar. Ab Geburt bis zirka zehn Monate entwickeln sich neben den kognitiven insbesondere die motorischen Fähigkeiten von Kleinkindern. Kinder, die noch nicht selbstständig sitzen können, sind zum Beispiel einer erhöhten Stoßgefahr im Rachenraum ausgesetzt, wenn sie Dinge in den Mund stecken und damit umkippen.
Kinder unter drei Jahren erkunden ihr Umfeld, dazu gehören optische, haptische, aber auch sensorische Erfahrungen. Dinge werden angefasst, daran gerochen und in den Mund gesteckt. Hieraus können sich Gefährdungen durch kleine Teile ergeben, die zum Ersticken führen können. Mit zunehmender Beweglichkeit erweitern Kinder ihren Bewegungsraum und erreichen damit mögliche Gefahren, die sich in ihrer Umgebung befinden. Ein wichtiger weiterer Entwicklungsschritt ist, wenn Kinder zu laufen beginnen. Hier ist dann insbesondere die Aufsicht der Eltern gefragt. Bei älteren Kindern ist es sinnvoll, den Kindern neben der freien und kreativen Nutzung von Spielzeug auch den richtigen Umgang und dessen Grenzen zu erklären. Damit schließt sich der Kreis von der Entwicklung von sicherem Spielzeug über die geeignete Kennzeichnung zu verantwortungsvollen Eltern.
Wie ermitteln Sie Altersangaben bei Produkten?
Bei der Alterseinstufung orientieren wir uns an verschiedenen Quellen und Kriterien. Bereits bei der Entwicklung unserer Produkte definieren wir die Zielgruppe der Kinder und stellen im Rahmen von Sicherheits- und Risikobetrachtungen entsprechende Eignungs- und Einstufungsüberlegungen an. Unterstützt wird diese Arbeit durch die Anwendung der ISO/TR 8124-8, einem technischen Bericht zur Altersklassifizierung von Kinderprodukten und den von der US CPSC veröffentlichten „Age determination guidelines“. Diese Leitlinien geben einen sehr guten Überblick über die körperlichen und geistigen Fähigkeiten, welche Kinder in den unterschiedlichen Altersstufen haben, und mit welchen Spielzeugen sie sicher interagieren können. So stellen wir sicher, dass unsere Altersempfehlungen sowohl entwicklungsgerecht als auch sicherheitsrelevant sind.
Was raten Sie Eltern beziehungsweise Kaufenden bezüglich der Altersempfehlungen?

Da es sich bei Altersangaben neben der Eignung von Spielzeug und Kinderartikeln insbesondere auch um Sicherheitsaspekte handelt, raten wir Eltern nachdrücklich, beim Kauf auf die Altersempfehlungen zu achten. Neben den Altersempfehlungen befinden sich auf Spielzeugen auch Warnhinweise, die insbesondere darauf hinweisen, dass ein Spielzeug zum Beispiel für Kinder unter drei Jahren aus den oben angegebenen Gründen nicht geeignet ist. Solche Spielzeuge sind aufgrund des speziellen Spielzwecks ausschließlich für ältere Kinder vorgesehen, die über entsprechende Fähigkeiten verfügen. Eltern sollten daher nicht die Fähigkeiten ihres Kindes überschätzen.
Kindsgut ist ein deutscher Spielwarenhersteller mit Sitz in Berlin. Hinter dem 2017 gegründeten Unternehmen steht ein Team aus Müttern, Vätern und Familienmenschen, das es sich zum Auftrag gemacht hat, Spielzeug und Accessoires anzubieten, die nicht nur dem Unterhaltungswunsch der Kinder, sondern auch den hohen ästhetischen Ansprüchen der Eltern gerecht werden. Vertrieben werden die Kindsgut-Produkte im Kindsgut Online Concept Store und in vielen Fachgeschäften.
Das sagen die Experten von spiel gut zu Altersempfehlungen für Spielzeug

Regina Witte, Erzieherin und Kita-Leiterin, ist seit 1986 spiel gut Mitglied sowie Mitglied des Vorstands:
Bezüglich der Altersempfehlungen von Spielzeug ist zu bedenken: Das Umfeld, die Erlebnisse und Eindrücke von Kindern haben sich extrem verändert. In Fremdbetreuung werden Kindern oft Angebote gemacht, die in der Familie nicht möglich wären. Auch die Altersmischung und Einflüsse anderer Familien lassen die Kinder Erfahrungen machen, die sie im Spiel verarbeiten. Durch die Medien haben junge Kinder häufig einen größeren Wortschatz, allerdings mit Spezialwörtern aus ihrem Erfahrungsbereich. Der Umgang mit Technik wird Kindern heute sehr früh vorgelebt und ist in ihren Alltag integriert. Allerdings zeigen sich in anderen Entwicklungsbereichen Defizite, beispielsweise im emotionalen Bereich und in der sozialen Interaktion. Die Entwickler und Designer legen vorab fest, für welches Alter das Produkt konzipiert werden soll. Dahingehend werden Tests mit Prototypen bei Kindern gemacht, es fließen wissenschaftliche Erkenntnisse ein und persönliche oder schon bestehende Erfahrungen mit einem ähnlichen Produkt. Spielzeug für Kinder unter drei Jahren wird, was die Sicherheitsanforderungen betrifft, sensibler behandelt. Die Eltern entscheiden bis zu einem bestimmten Alter über den Kauf der Spielsachen. Qualität und Nachhaltigkeit sind wichtige Kaufkriterien. Auch der Spielwert und die Förderung des Kindes durch das Spielzeug. Diese Eltern werden die Kaufentscheidung auch von der Altersangabe abhängig machen. Allerdings sehen Eltern ihre Kinder mit anderen Augen und haben auch oft keine Vergleiche, was in einem bestimmten Alter passend ist. Grundsätzlich muss Spielzeug Spaß machen, jede Überforderung und Frustration bewirkt das Gegenteil.

Michael Brandl, Heil- und Spielpädagoge, ist seit 1994 spiel gut Mitglied und seit 1999 Mitglied des Vorstands:
Normalerweise steht es Herstellern frei, die Altersangaben festzulegen und auch anzupassen. Sie ermitteln aber üblicherweise zuerst sehr genau ihre Zielgruppe. Bei Gesellschaftsspielen sind Altersangaben strategisch festgesetzt. Hier bilden die Acht- bis Zwölfjährigen die Hauptzielgruppe, weil Spiele damit auch familientauglich beziehungsweise generationenübergreifend sind. Also werden möglichst viele Spiele auf diese Altersgruppe hin deklariert.
Grundsätzlich wird das Mindest-/Einstiegsalter möglichst niedrig angesetzt, zum Beispiel bei Spielzeug für Babys und Kleinkinder. Mitunter werden auch Tricks angewandt wie mitspielen mit größeren Geschwistern, Eltern zeigen es und spielen mit, et cetera. So wird die Zielgruppe erweitert. Außerdem halten viele Eltern das Spielzeug generell zu früh für geeignet für ihre Kinder. Kinder reifen heute zwar eher früher, aber erst ab dem Alter von zweieinhalb bis drei Jahren. Die subjektiven Elternentscheidungen greifen aber schon im Babyalter. Altersangaben halte ich für besonders wichtig bei Spielzeug für kleinere Kinder und bei Gesellschaftsspielen. Überprüft werden die Altersempfehlungen der Unternehmen nicht, nur bei Spielzeug für Unterdreijährige wegen verschluckbarer Kleinteile.

Norman Kurock, Sozialpädagoge und Experte für Gesellschaftsspiele bei spiel gut:
Verlage haben meines Wissens nach Testfamilien, die die Prototypen testen. Hier geht es vor allem um Spielreiz und ähnliche Kriterien. Mir sind keine Vorgaben bekannt, nach denen eine Altersempfehlung festgelegt wird. Im Gesellschaftsspielebereich kenne ich kein Spiel, bei dem die Altersangabe nach unten korrigiert wurde. Es ist aber klar zu beobachten, dass Spiele komplexer werden. Wurde zum Beispiel Siedler von Catan vor 30 Jahren noch als anspruchsvolles Spiel bezeichnet, wird Catan heute eher als ein Spiel mit normalem Schwierigkeitslevel oder als anspruchsvolles Einsteigerspiel angesehen. Ich glaube, dass Eltern ihre Kinder gerne cleverer sehen und deshalb dazu neigen, ein Spiel ab sechs Jahre zu kaufen, weil sie glauben, dass das fünfjährige Kind das schon kann. Andererseits gibt es Verlage, die die Altersangabe nach unten setzen, damit der Kundenkreis größer wird. Deshalb ist es wichtig, genau hinzusehen. Es besteht die Gefahr, dass durch Misserfolge und Frustrationen Kinder nachhaltig die Lust am Spielen verlieren. Das Thema Altersangabe ist ja nicht isoliert der intellektuelle Anspruch des Spielablaufs, sondern steht immer in Zusammenhang mit Grafik, Wording, Material und Thema. Deshalb lässt sich nicht sagen, in welchem Alter die Altersangabe besonders wichtig ist. Eine Sortierung der Spiele im Fachhandel nach Altersempfehlung halte ich für wichtig.

Dr. René Michels, Radiologe und Medizininformatiker, ist seit 2008 spiel gut-Tester, seit 2011 spiel gut Mitglied und seit 2022 Vorstandsmitglied:
Ich glaube, dass nur sehr wenige Eltern auf Altersempfehlungen achten. Die meisten Eltern halten ihr Kind subjektiv für weiter als Altersgenossen. Grundsätzlich sind Altersangaben wichtig, denn ehrgeizige Eltern neigen dazu, ihr Kind zu überfordern. Bei Spielen halte ich Altersangaben für sehr wichtig. Wenn Spielwaren im Handel nach Alter sortiert sind, könnte das Eltern sensibilisieren, sich nach den Empfehlungen zu richten.
Über die Autorin
Sibylle Dorndorf schreibt seit fast 30 Jahren über die Spielwarenbranche, zuletzt war die Journalistin Chefredakteurin der TOYS-Magazinfamilie im Göller Verlag, Baden-Baden. Ihre Passion: Unternehmen, die sich neu erfinden, Marken, die sich glaubwürdig positionieren, Menschen, die etwas zu sagen haben und Produkte mit Zukunft.


