
Schiff ahoi!
Die Facetten des Schiffsmodellbaus
Von Peter Thomas
Was haben ein britischer Admiral aus dem 17. Jahrhundert und ein heutiger Gymnasiast mit Aussicht auf sechs Wochen Sommerferien gemeinsam? Es ist die Begeisterung für Schiffsmodelle. Allerdings fallen die jeweiligen Miniaturen sehr unterschiedlich aus. Denn für die Marine dienten vor gut 400 Jahren statische Modellschiffe zur dreidimensionalen Veranschaulichung neuer Projekte. Beim aktuellen Rennboot mit Fernsteuerung und leistungsstarkem Motor hingegen geht es um die schiere Dynamik.

Hurricane heißt das Spielzeugboot aus dem Programm von Revell Control. Es ist knapp 50 Zentimeter lang und bis zu 45 km/h schnell. Als Vertreter elektronischer Ready to Run-Modelle kommt es fertig montiert und komplett ausgestattet, inklusive 7,4-Volt-Akku mit 2000 Milliamperestunden Kapazität. Also nur auspacken, aufladen, Batterien in die 2,4-Gigahertz-Fernsteuerung einsetzen und ab aufs Wasser. Auf dem träge durch den heißen Sommernachmittag fließenden Strom dreht das Boot rasant seine Bahnen, die Gischt sprüht glitzernd im Licht. Der Sommerspaß ist garantiert.
Vorbild im Fokus

Und wie steht es angesichts solch attraktiver Fertigmodelle mit dem klassischen Schiffsmodellbau? Der ist quicklebendig und hat sich in den vergangenen Jahren dank elektronischer Technik ebenfalls deutlich weiterentwickelt. In diesem Segment bilden engagierte erwachsene Modellbauer den Schwerpunkt. Ihre Projekte basieren häufig auf einem Bausatz und werden individuell optimiert. Das gilt für Standmodelle für Vitrine und Ausstellung genauso wie für voll funktionsfähige Schiffe für den Einsatz auf dem Wasser.
Die technischen Möglichkeiten sind dabei immens. Neben klassischen Schraubenantrieben gibt es zum Beispiel auch Modellschiffe mit funktionsfähigem Voith-Schneider-Propeller (VSP). Dieser Alleskönner bietet nicht nur linearen Vortrieb, sondern seine Schubrichtung lässt sich frei einstellen. Damit dreht der Hafenschlepper im Modell genauso beeindruckend auf der Stelle wie das Original.
Mit der Kraft des Windes

Schiffsmodellbau lebt von der Vielfalt und der individuellen Ausdrucksmöglichkeit. Das spiegelt sich im Angebot des Fachhandels. Hier gibt es neben kompletten Bausätzen auch zahlreiche Komponenten und Rohmaterialien. Außerdem spielt das Thema 3-D-Druck eine immer wichtigere Rolle. Gerade bei den Funktionsmodellen spiele das „Austüfteln technischer Lösungen“ eine zentrale Rolle, sagt Karsten Widera. Er ist Vorsitzender des Modellbau-Club Mainspitze in Ginsheim bei Mainz. Regelmäßig treffen sich die Modellbauer am Rhein zum gemeinsamen Fahren ihrer Schiffe und Boote: Kutter und Yachten, Arbeitsschiffe und Schlepper ziehen ihre Bahnen. Das begeistert nicht nur die Kidults in ihren bequemen Outdoorstühlen, sondern auch Passanten aller Altersstufen.
Fragen zur Technik werden gern und ausführlich beantwortet. Zum Beispiel über den Antrieb des schlanken Segelbootes, das Widera gerade über seine Mehrkanalfernsteuerung elegant übers Wasser gleiten lässt. „Gar kein Motor“, sagt der Modellbauer und grinst. Wie das Vorbild wird das Schiff nur vom Wind angetrieben. Die Elektrotechnik an Bord stellt auf sanften Hebeldruck an der Fernbedienung die Segel und das Ruder, schon nimmt das Modell präzise Kurs aufs Ufer.
Klassische Faszination

Moderne Schiffsmodelle mit Antrieb durch Segel machen nicht nur viel Freude, sondern sie haben auch eine interessante historische Parallele. Denn vor dem Aufkommen von ferngesteuerten Miniaturen mit elektrischen Antrieben gab es schon Spielzeug- und Modellschiffe mit anderen Fortbewegungsarten. Dazu zählen beispielsweise Rennboote mit Uhrwerkmotor und Schraubenantrieb oder auch Blechboote mit einfachem Wasserimpulsantrieb durch ein Teelicht (Knatterboote).
Und es gibt eben auch eine lange Tradition von Modellbooten mit Segelantrieb. Ein weltweit bekannter Ort für dieses Kapitel der Spielzeuggeschichte ist der Park Jardin du Luxembourg in Paris. Seit zwei Jahrhunderten lässt man hier im achteckigen Bassin vor prachtvoller Kulisse kleine Segelboote fahren. Die Miniaturen werden bis heute in Handarbeit gefertigt. Baumwollsegel sorgen für Vortrieb, ein bleibeschwerter Kiel für Stabilität. Les voiliers du Luxembourg vermietet die bunte Flotte an Kinder genauso wie Erwachsene mit Freude an Geschichte und Technik.
Repräsentation und Dankbarkeit

Noch älter als die Tradition der Segelboote im Pariser Park ist die Geschichte der Schiffsmodelle, die vor allem in Norddeutschland in Kirchen und öffentlichen Gebäuden zu finden sind. Berühmt sind unter anderem die Orlogschiffe im Rathaus der Hansestadt Bremen. Das älteste dieser Modelle stammt aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Die fein gearbeiteten und reich ausgestatteten Miniaturen stehen für den wirtschaftlichen Erfolg der Hansestadt, aber auch für die Gefahren des Seehandels – daran erinnern ihre zahlreichen Geschütze.
Ähnliche Schiffsminiaturen finden sich in vielen Kirchen an der Küste und auf den Inseln. Diese sogenannten Votivschiffe wurden meist von Reedern, Kapitänen und hochrangigen Seeleuten gestiftet. Sie dienten also ebenfalls der Repräsentation. Zugleich hatten haben sie eine wichtige Funktion in der religiösen Praxis, erhoffte man sich von ihnen doch Schutz auf der nächsten Fahrt, oder drückte Dank aus für eine glückliche Heimkehr.
Viele Modellbauer entwerfen und konstruieren auch heute Miniaturschiffe mit einem ähnlichen hohen Detaillierungsgrad. Dabei gilt, dass Modelle mit den allerfeinsten Details eher nicht für das Fahren auf dem Wasser gemacht sind. Sie faszinieren stattdessen als Schaustück in der Vitrine oder bei Ausstellungen. Außerdem eignet sich ja nicht jeder Werkstoff zum Schwimmen: Neben Kunststoffen und Holz sind beispielsweise auch Papier und Karton im Schiffsmodellbau vertreten.
Leichter Einstieg in das Hobby

Wer im Sommer davon träumt, sein eigenes Modellboot oder -schiff einzusetzen, kann das schnell in die Realität umsetzen. Das Angebot an Bausätzen und Fertigmodellen ist groß. Moderne Fernsteuerungen, Antriebe und andere elektrische und elektronische Komponenten lassen sich einfacher denn je bedienen. Zudem sorgen Akkus mit hoher Kapazität und effiziente Motoren für lange Fahrzeiten.
Besonders schön an der Leidenschaft für die maritimen Modelle: Wenn der Sommer mit den aktiven Fahrten vorbei ist, kann man sich im Winter in der Werkstatt der weiteren Optimierung seiner Miniatur widmen. Genug Ideen gibt es dafür bestimmt, auch der Austausch in der lebendigen Community hilft. Die zahlreichen Hersteller und Händler liefern die entsprechenden Bauteile sowie Materialien.
Über den Autor
Geschichten über Technik und Menschen erzählen: Das fasziniert Peter Thomas, den Journalisten, Autor, Kulturwissenschaftler und Dozenten seit mehr als 30 Jahren. Technisches Spielzeug steht dabei immer wieder im Fokus, vom Baukasten bis zu interaktiven digitalen Lernspielzeugen. Nach Studium und Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität schreibt Peter Thomas für Tageszeitungen, Magazine und Unternehmenspublikationen im deutschen und englischen Sprachraum. Seine Schwerpunkte neben der Welt des Spiels sind Mobilitäts-, Sicherheits-, Energie- und Medizintechnik.


