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Startups Teil 6: Platzhirsche oder Rebellen im Regal?

Startups bieten dem Handel frische Ideen und innovative Produkte

Von Sibylle Dorndorf

Die Markenlandschaft wird immer bunter – die Händlerschaft ist als Kurator bei der Sortimentsgestaltung mehr denn je gefordert. Wer dem Wunsch der Käufer nach Inspiration im Regal entspricht, generiert Aufmerksamkeit und gewinnt Neukunden. Vor allem junge Brands sind gefragt. Sie besetzen Nischen, die von bekannten Marken nicht glaubwürdig bedient werden. 

Love Brand statt Langeweile

Love Brands zu platzieren ist ein Megatrend, das bestätigen die Retail-Experten. Eine Sortimentsstrategie, die jungen Marken eine Perspektive in Form einer Listung eröffnet, birgt Potenziale und Profilierungsmöglichkeiten. Gerade über Newcomer Brands, zu denen im Übrigen neben Marken von Start-ups auch von Influencern gelaunchte Marken zählen, können Händler wertvolle Impulse setzen. Trotz dieser Erkenntnisse konzentriert sich der Einzelhandel immer noch weitestgehend auf die Platzierung altbekannter Platzhirsch-Marken.

Die Henne und das Ei

Wer ein innovatives Sortiment kuratieren will, muss frischen Wind ins Regal bringen – und akzeptieren, dass Startups keine Störfaktoren sind, sondern die Eintrittskarte in ein zukunftsgerichtetes Sortiment. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus: Als Startup eine Platzierung im Regal zu erreichen, erinnert an das Gleichnis Henne – Ei. Das Problem von Ursache und Wirkung. Unmöglich ist es nicht. Das zeigen zahlreiche Erfolgsgeschichten. Für ambitionierte Gründerinnen und Gründer gilt: Verstehen lernen, wie der Handel tickt. Wer Zukunft will, muss sie umsetzbar machen. Nur so kann man sich als Startup ins Regal katapultieren.

Das Einmaleins für eine Listung

Der Handel lebt vom Abverkauf. Ein Produkt muss sich drehen, und das möglichst schnell. Im Fachjargon Flächenproduktivität genannt. Platzierung und Sichtbarkeit im Handel bekommt nur, wer dieses Kriterium erfüllen kann. Wer auf Dauer weniger Umsatz bringt als das bereits gelistete, vergleichbare Produkt, hat verloren. Margen, Drehzahlen, Platzierungen – ein Händler denkt nicht in Visionen, sondern in: Bestellbar. Lieferfähig. Bezahlbar. Und vor allem: Kauft es der Kunde?

Startups sind wie Sahnehäubchen

Mit innovativen, überraschenden Produkten als schmückendes Beiwerk zu einem soliden Stammsortiment kann ein Händler eine Alleinstellung erreichen. Um an diese Sahnehäubchen zu gelangen, muss er unternehmerisch denken und aufhören, Startups mit Konzernmaßstäben zu messen. Das ist der grundfalsche Ansatz. Startups sind auch keine Bittsteller. Sie sind strategische Partner. Vorausgesetzt, man gibt ihnen die Chance dazu.

Blick über den Tellerrand

Es begann am Küchentisch: Nomoo-Gründer Rebecca Göckel und Jan Grabow

Die Nomoo-Gründerin Rebecca Göckel bekam diese Chance – aber bei weitem nicht geschenkt. Sie startete mit einer kleinen Eismaschine am Kölner Barbarossaplatz. Heute beliefert sie Supermärkte. Rund 3000 davon hat sie in den Anfangsjahren selbst besucht. Hat sich die Hacken abgelaufen und ihr pflanzliches Bio-Eis sowie ihre Produktion vorgestellt – und unermüdlich Überzeugungsarbeit geleistet. Heute ist die Mitgründerin und Geschäftsführerin von Nomoo Vertriebs- und PR-Chefin des jungen Unternehmens. Auf der Fläche ist sie immer noch gern unterwegs.

LEH als Innovationsschaufenster

Im Lebensmitteleinzelhandel kurz LEH, scheint in Sachen Startups ein Umdenkungsprozess stattgefunden zu haben. Ob als Folge des Preispokers mit Markenartikel-Herstellern oder aus Überzeugung sei dahingestellt.  

Der Handelsriese Rewe setzte mit ReweLution erste Signale. Aktuell wird umfirmiert und die Startup-Lounge national ausgerollt: „Vielfalt im Sortiment ist für Rewe ein klares Differenzierungsmerkmal. Und dazu gehören innovative Produkte. Junge Unternehmen reagieren blitzschnell auf Ernährungstrends oder kreieren sie. Nur fehlt es ihnen naturgemäß noch an wichtigen Kontakten, Branchenwissen und der für eine Vermarktung notwendigen Professionalität“, sagt Daniel Kniel, Geschäftsführer Ware Vollsortiment bei der Rewe Group Buying. Selda Morina, Head of Start-up Lounge National / Innovationsmanagement, ist bundesweit zentrale Ansprechpartnerin für interessierte Startups. Sie koordiniert den Auswahl- und Listungsprozess mit den bereits etablierten regionalen Ansprechpartner:innen der Rewe-Niederlassungen. Beide zusammen bilden das Team Startup-Lounge und entscheiden darüber, welche Produkte in den Test gehen. Die Neuheiten stehen – voraussichtlich ab November – in einer großen Zahl von Rewe-Märkten. 

Trendsetter im Handel mit Startups

Auch Edeka experimentiert schon seit längerem mit Formaten zur Start-up-Förderung. Die ursprüngliche Initiative FoodStarter wurde sieben Jahre nach dem Start 2024 in Edeka StartHub umbenannt. Als Pionier gilt die österreichische Spar-Gruppe, die mit Young & Urban bereits seit 2018 gezielt innovative Start-ups fördert. Das Programm zielt darauf ab, das Sortiment der eigenen Supermärkte Spar, Eurospar und Interspar mit den neuesten Trends zu bereichern. Dank Young & Urban hatte der österreichische Marktführer schon früh Artikel im Regal, die sich im Laufe der Jahre entweder auch im deutschen Lebensmittelhandel etabliert haben – wie die zuckerfreien Schokoriegel von Neoh – oder die (zumindest in Österreich) inzwischen zum Standardsortiment gehören, so wie die orientalischen Spezialitäten von Neni.

Startup-Sparringspartner gesucht

Auch Rebecca Göckel hat mit Nomoo den Sprung ins Regal geschafft. Aber zunächst stand auch sie im Handel vor verschlossenen Türen. „Kommen Sie wieder, wenn Sie bekannt sind“, hieß es. Nur: Wenn Newcomer-Marken bekannt und groß sind, dann kommen sie nicht mehr. Dann sitzen sie beim Wettbewerber, der sie ernst genommen hat oder haben sich eigene Vertriebswege aufgebaut. In Zeiten von E-Commerce und Social Media ist das zwar aufwendig, aber möglich. Und mit der innovativen Brand gehen auch die jungen Käufergruppen, die solche Produkte suchen.

Veganes Eis neu gedacht

Rebecca Göckel hat es geschafft, Nomoo im Handel zu platzieren

Rebecca Göckels Einsatz hat sich gelohnt. Zentralen wie Alnatura und Metro beginnen eine Zusammenarbeit mit der Nomoo OHG. Heute ist die kultige Eismarke in mehr als 1500 Supermärkten verfügbar. Die jungen Unternehmer vertreiben mit einem 25-köpfigen Team mehr als neun verschiedene Eissorten, launchen das beste vegane Vanilleeis und expandieren nach Österreich und in die Schweiz. Rebecca Göckel will auch andere Gründerinnen und Gründer ermutigen, ihren Weg in den Handel zielgerichtet zu verfolgen: „Unsere Erfahrungen mit Handelslistungen sind sehr unterschiedlich – von inspirierend bis ernüchternd. Manche Einkäufer begegnen uns auf Augenhöhe, geben wertvolles Feedback, teilen Daten und unterstützen aktiv durch Marketingmaßnahmen. Diese Partnerschaften sind extrem wertvoll und motivierend. Andere hingegen behandeln junge Marken wie etablierte Großkonzerne und fordern Listungsgebühren, die für Start-ups wirtschaftlich kaum tragbar sind. Nicht immer ist im Tagesgeschäft Raum da, um gemeinsam mit Start-ups das Potenzial eines innovativen und strategischen Sortimentspartners wirklich zu entfalten. Margendruck bestimmt oft das Miteinander. Wer hier bestehen will, braucht eine dicke Haut – und eine klare Vision. Mit viel Durchhaltevermögen, guten Argumenten und einer beständigen Weiterentwicklung des Produkts lassen sich am Ende aber (fast) alle Kunden knacken.“ 

Nomoo – Die Nicecream

Eis ohne Milch? Das schmeckt doch nicht. Und ob das schmecken kann, dachten sich Jan Grabow und Rebecca Göckel im Sommer 2016. Schon war die Idee zu Nomoo geboren. Bevor sich die Speiseeis-Industrie umschauen konnte, übten sich die Gründer nach jeder Vorlesung in einer angemieteten Küche im Herzen von Köln als Eishersteller. Sie wollten beweisen, dass nachhaltige und vegane Produkte lecker sein können. Zahlreiche Nächte und Löffel schlugen sie sich um die Ohren, bis Geschmack und Konsistenz alles übertrafen, was man bisher im Supermarkt bekam. Der Beweis war erbracht: Veganes Eis kann köstlich sein. 2018 wurde die Nomoo OHG gegründet.

Der Handel als Wachstumsbeschleuniger

Coole Performance der Nicecream: Die Produktpalette von Nomoo

Der Handel – quer über alle Branchen – braucht alternative Konzepte. Startups haben das Zeug, Sortimente nachhaltig zu prägen. Für junge Unternehmen bieten Initiativen wie die von Rewe, Edeka und Spar Zugang zu einem breiten Vertriebsnetz und Präsenz in den Regalen großer Handelsketten – was ein entscheidender Wachstumsbeschleuniger sein kann. Das Feedback von tausenden Kunden hilft, Produkte schneller zu optimieren, und die Planungssicherheit durch größere Abnahmemengen ermöglicht es, in Produktion und Marketing zu investieren.

Startups in der Spielwarenbranche

In der Spielwarenbranche sind Initiativen wie die oben genannten (noch) nicht in Sicht. Schade eigentlich – und schwer nachvollziehbar. Erfolgsgeschichten wie die der tonies SE (nachzulesen in Startups Folge 5 in Spirit of Play) belegen, welch wichtige und nachhaltige Marktimpulse die Innovationskraft von Gründern setzen kann.

Vorreiter mit der StartupArea in Halle 3A ist seit 2020 die Spielwarenmesse. Diese vielbesuchte und -beachtete Sonderfläche bietet Gründerinnen und Gründern die Möglichkeit, sich gemeinsam mit anderen Startups zu präsentieren und neue Absatzmärkte zu erschließen. Ein für junge Unternehmen zugeschnittenes Komplettpaket erleichtert bis zu drei Messeteilnahmen und ermöglicht Newcomern den Eintritt in ein internationales Geschäftsumfeld. 

Messeprogramm Young Innovators

Mit dem Messeprogramm Young Innovators ermöglicht das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE) jungen innovativen Unternehmen mit Sitz in Deutschland, die jünger als zehn Jahre sind, an internationalen Leitmessen in Deutschland zu günstigen Bedingungen teilzunehmen. Gewährt wird ein prozentualer Anteil der förderfähigen Ausgaben für Miete und Standbau an Gemeinschaftsständen. Die förderfähigen Leitmessen werden jährlich vom BMWE festgelegt. Zur Liste der förderfähigen Veranstaltungen gehören Messen in Deutschland mit einer hohen Internationalität auf der Aussteller- und Besucherseite wie zum Beispiel die Spielwarenmesse sowie Messen, die einen Innovationscharakter aufweisen.
Die Liste der förderfähigen Veranstaltungen sowie detaillierte Informationen zu den Förderbedingungen finden Interessierte auf der Webseite des BAFA.

Startup-Artikel im Überblick

Startups Teil 1: Am Anfang war die Idee
Über Innovationskraft, Erfolg und das Risiko des Scheiterns

Startups Teil 2: Gründen in der Spielwarenbranche
Smartek - Von der Unternehmensgründung zum Universalgenie

Startups Teil 3: Willkommen Zebras und Unicorns
Die zoologische Vielfalt und das Potenzial von Startups in Zeiten von Multikrisen

Startups Teil 4: Die Vision einer besseren Welt
Agnawool – Soziale Verantwortung statt Profitmaximierung

Startups Teil 5: Auch Global Player fangen klein an
Die Erfolgsstory von tonies und was Gründer daraus lernen können

Startups auf der Spielwarenmesse

Mit der StartupArea ermöglicht die Spielwarenmesse jungen Unternehmen, neue Geschäftskontakte zu knüpfen. Auf dieser Sonderfläche in Halle 3A stellen Startups ihre Produktideen der Spielwarenbranche vor.

StartupArea Paket für internationale Unternehmen
Voraussetzung: Gründung vor max. fünf Jahren.
Angebot umfasst 6 m² Standfläche mit Ausstattung.

Förderprogramm Young Innovators für deutsche Unternehmen
Unterstützung durch das Wirtschaftsministerium.
Angebot umfasst bis zu 15 m² Standfläche.

Über die Autorin
Sibylle Dorndorf schreibt seit fast 30 Jahren über die Spielwarenbranche, zuletzt war die Journalistin Chefredakteurin der TOYS-Magazinfamilie im Göller Verlag, Baden-Baden. Ihre Passion: Unternehmen, die sich neu erfinden, Marken, die sich glaubwürdig positionieren, Menschen, die etwas zu sagen haben und Produkte mit Zukunft.

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