
Die Zukunft des Spielens hat eine Vergangenheit – und zwar in Indien
Kommentar der indischen Toy Design-Expertin Suhasini Paul
Von Suhasini Paul
Wir denken häufig an moderne Roboter, virtuelle Welten und KI-gestützte Spielsachen, die auf jede noch so kleine Regung ihres Nutzers reagieren, wenn wir über die Zukunft des Spielens diskutieren. Um aber zu verstehen, was uns in der Zukunft erwartet, müssen wir zuerst einen Blick in die Vergangenheit werfen - und zwar nach Indien, wo Spielen, Innovationen und Geschichtenerzählen seit über 5.000 Jahren Teil der DNA sind.
„Die Zukunft des Spielens ist mehr als Technik – manchmal ist der Wissensschatz unserer Vorfahren viel wichtiger.“
Suhasini Paul

Die Geschichte des Spielens ist so alt wie die indische Kultur. Sie reicht von den Terracotta-Tierfiguren aus dem Industal bis zu den handgefertigten Channapatna-Holzspielzeugen aus Karnataka. All diese Spielzeuge zeugen von Kreativität, erzählen uns Geschichten und stehen für nachhaltige Handwerkskunst. Archäologen haben winzige aus Terracotta gefertigte Wagen, Pfeifen in Vogelform, Tierfiguren mit beweglichen Köpfen und Miniatur-Küchensets gefunden, die alle aus der vor 5.000 Jahren im Industal beheimateten Zivilisation stammen. Diese Gegenstände waren nicht einfach nur Spielsachen, sondern vermittelten den Kindern Kenntnisse im Bereich Ackerbau, Kochen, Tiere und gesellschaftliches Zusammenleben und sorgten so für eine spielerische Vermittlung von Wissen – lange bevor es diesen Begriff überhaupt gab.
Zum Spielen erdacht, für die Ewigkeit gemacht – Nachhaltiges Spielen made in India
Indische Spielsachen waren immer nachhaltig, und zwar lange bevor das Thema weltweit zum Schlagwort wurde. Sie liefern eine Blaupause für Spaß am Spiel, für Sicherheit und für einen verantwortungsvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen. Traditionell wurden Spielsachen in Indien aus lokal verfügbaren Rohstoffen wie Lehm, Holz, Stoff, Palmblättern und Bambus mithilfe biologisch abbaubarer Pflanzenfarbstoffe gefertigt. Dabei kamen althergebrachte wohl durchdachte Handwerkstechniken zum Einsatz.
Den Anfang bildeten die Kreisel aus Varanasi. Die nordindische Stadt ist nicht nur für ihr kulturelles Erbe, sondern auch für ihre Stoffpuppen bekannt, die auf Festivals, bei Folkloreveranstaltungen, aber auch im alltäglichen Leben ihren festen Platz haben. Ursprünglich wurden diese Spielzeuge entwickelt, um die Fantasie anzuregen, Kultur zu vermitteln und Kindern eine Freude zu bereiten.
Die Welt spielerisch erforschen

Wenn ich Leuten erzähle, dass Spielsachen in Indien schon seit Jahrhunderten zur Vermittlung von Wissen eingesetzt werden, schaue ich oft in überraschte Gesichter. Spiele wie Pallanguzhi (ein Zählspiel, bei dem Muscheln oder Samen zum Einsatz kommen) förderten schon in grauer Vorzeit mathematisches Denken. Chaupar (ein Vorgänger des heutigen Mensch-ärgere-dich-nicht) schulte strategisches Denken und Wahrscheinlichkeitsrechnung. Gilli-Danda, das dem Cricket ähnelt, fördert die Koordination von Auge und Hand und auch den Teamgeist.
Und auch die Drachen, die jeden Januar beim indischen Erntedankfest Makar Sankranti hoch in den Himmel steigen, lehren ihre Benutzer etwas über Aerodynamik und Windverhältnisse.
Spielen für alle – im Geiste der Inklusion

Ein weiterer wichtiger Aspekt, den ich an der indischen Spielkultur besonders schätze, ist ihre Inklusivität. Spielen war nie nur etwas für Kinder. An Festivals wie dem berühmten Holi-Farbenfest nehmen alle Generationen teil – Kinder, Eltern und auch die Großeltern. Und überall im Land warten Jahrmärkte und Messen mit traditionellen Spielsachen auf, die wirklich für jedermann erschwinglich sind.
Das Motto ist also „Spielen schließt niemanden aus, sondern ist für alle da – immer und überall!“
Wenn ich moderne Spielsachen entwerfe, orientiere ich mich häufig an diesen traditionellen Spielen. Sie erinnern mich daran, dass Spielen Spaß machen und etwas für alle sein soll, das gleichzeitig Fertigkeiten vermittelt.
So schlagen wir den Bogen zwischen Vergangenheit und Zukunft
Wir laufen heute Gefahr, dass viele dieser Traditionen im Sog der Massenproduktion von Spielwaren verloren gehen. Das wäre schade, denn sie haben ein enormes Potenzial für die Zukunft des Spielens weltweit. Durch kluges Design könnte althergebrachten indischen Spielsachen neues Leben eingehaucht werden, wenn es gelingt, sie an die heutigen Bedürfnisse anzupassen. Wenn man diese über Jahrhunderte handwerklich gefertigten Objekte mit ergonomischen Griffen und einen modernen Look ausstattet und dabei sicherstellt, dass alle anwendbaren Sicherheitsvorschriften beachtet werden, könnten sich daraus weltweit relevante Spielerlebnisse entwickeln. Ich persönlich bin überzeugt, dass wir das riesengroße indische Erbe in die Zukunft retten können, wenn wir Folgendes beachten:
- Tradition und Technik müssen Hand in Hand gehen: Ich denke hier beispielsweise an AR-Toys, die das uralte Ramayana-Epos oder die Panchatantra-Tierfabeln zu neuem Leben erwecken könnten, oder an Smart-Toys, die zwar moderne KI verwenden, aber durch alte indische Volkskunst inspiriert sind und Kinder in der ganzen Welt ansprechen.
- Nachhaltigkeit bewahren: Dies lässt sich durch die Verwendung lokaler Materialien, biologisch abbaubare Verpackungen und regionale Herstellung erreichen.
- Den Wow-Effekt mitdenken: Jedes Spielzeug muss so gestaltet sein, dass Kinder sich dafür begeistern, dass ihre Neugier geweckt wird und dass sie bestenfalls auch noch etwas lernen.
Ich entwerfe nun schon seit zwanzig Jahren Spielsachen und habe eines gelernt: Design darf unser kulturelles Erbe nicht ersetzen, sondern muss es für heutige Generationen relevant machen. Nur so können wir sicherstellen, dass traditionelle Handwerkskunst authentisch bleibt und gleichzeitig für die Kinder von heute attraktiv ist.
Warum ist dies für den Rest der Welt wichtig?

Weltweit sind Kinder heutzutage sehr viel stärker digital unterwegs als früher. Gleichzeitig sind sie einsamer und gestresster und bewegen sich zu wenig. Deshalb dürfen die Spielwaren der Zukunft nicht nur Ablenkung bieten, sondern müssen es Kindern ermöglichen, zu wachsen, ihre Kreativität auszuleben und ihren Platz in der Gesellschaft zu finden.
Dafür kann Indien eine Blaupause liefern. Die indische Spielkultur ist ganzheitlich ausgerichtet und bezieht Geist, Körper und Seele mit ein. Ihre Wurzeln liegen im Erzählen von Geschichten und in der Verbundenheit zur Natur. Sie ist darauf ausgelegt, Menschen zusammenzubringen.
Plattformen, die unser Erbe wachsen lassen
Steigende Exporte, eine Fokussierung auf Qualität und Sicherheit und staatliche Initiativen zur Stärkung der wirtschaftlichen Eigenständigkeit Indiens wie z.B. das Atmanirbhar Bharat-Programm haben Indien zu einer Drehscheibe für innovative und nachhaltige Spielwarenproduktion werden lassen. Auf der Kids India in Mumbai, der landesweit größten B2B-Messe für Spielwaren, kommen Produzenten, Kunsthandwerker, Designer und Einkäufer aus aller Welt zusammen. Das ist für lokale Betriebe, deren Wurzeln in der jahrhundertealten indischen Tradition liegen, eine große Chance. Denn hier können sie sich zu internationalen Playern entwickeln und die Märkte weltweit erobern. Im Gegenzug können sich indische Spielzeugentwickler und -hersteller auf der Spielwarenmesse in Nürnberg einem internationalen Publikum präsentieren. Im Zusammenspiel zeigen diese Plattformen, dass das Selbstbewusstsein und die weltweite Bedeutung der indischen Spielwarenproduzenten immer weiter wächst, weil es Indien gelungen ist, eine Brücke zwischen traditioneller Handwerkskunst und modernem Design und Innovationskraft zu schlagen. Dadurch sind Toys made in India in aller Welt sichtbar, zukunftsfähig, skalierbar und zugänglich.
Auf geht’s zum Spielen!

Die Zukunft des Spielens ist mehr als nur Spielzeug: wir müssen Kindheit überhaupt neu denken. Kindern muss es ermöglicht werden, an den Erfahrungen zu wachsen, die sie im Spiel machen. Dafür müssen wir uns den Kulturen zuwenden, in denen Kinder schon seit Jahrtausenden spielen, wie zum Beispiel Indien, wo die traditionellen Spielwaren uns zuzurufen scheinen: „Spielen muss einen Sinn haben. Spielen muss Spaß machen. Spielen muss die Umwelt schonen.“
Eltern ist es heute wichtig, dass Spielzeug sicher ist, ethischen Standards entspricht und eine wirkliche Bereicherung darstellt. Genau das bietet uns das kulturelle indische Erbe. Indien hat beste Chancen, sein traditionelles Spielwarenerbe international bekannt zu machen und gleichzeitig neue Standards für umweltbewusstes Spielen zu etablieren, indem es sein kulturelles Erbe mit modernem Design verbindet. Als Spielzeugentwicklerin und Trägerin dieses wertvollen Erbes lade ich die Welt ein, dieses Wissen gemeinsam mit mir zu reaktivieren. Denn die Zukunft des Spielens liegt nicht allein im technischen Fortschritt oder der Massenproduktion. Manchmal liegt sie auch in dem gesammelten Wissen, das unsere Vorfahren gesammelt haben. In diesem Sinne hat die Zukunft des Spielens also eine indische Vergangenheit, auf die wir zurecht stolz sein dürfen, einen „Wissensschatz des Spielens“.
Tauchen Sie ein in die Welt handwerklich gefertigter indischer Spielwaren und lernen Sie indische Spielwarenhersteller kennen. Sichern Sie sich mit der Kids India in Mumbai ihren Zugang zum wachsenden Spielzeugmarkt in Indien und erfahren Sie mehr über den indischen Spielwarenmarkt und seine wichtigsten Player. Knüpfen Sie vom 06.-08.10.2025 wertvolle Kontakte!
Über die Autorin
Die indische Spielzeugdesignerin Suhasini Paul ist Absolventin des renommierten National Institute of Design (NID) in Ahmedabad und Sprecherin der TEDx-Initiative. Sie hat an der Entwicklung von mehr als 400 Toys mitgewirkt, u.a. den Minitoys für das indische Kinder-Überraschungsei-Pendant. Die Preisträgerin des vom indischen Premierminister Narandra Modi verliehenen Designpreneur Awards entwirft aber nicht nur Spielzeug, sondern berät auch weltweit vertretene Marken in über acht Ländern. Daneben setzt sie sich weltweit für spielerisches Lernen ein, so z.B. als sog. PLAY AMBASSADOR für The Genius of Play (NY), als Referentin bei der Moscow Interior & Design Week oder als Mitglied des National Committee on Design & Innovation (2025–26) der Confederation of Indian Industry (CII), einem der führenden indischen Industrieverbände.


