
Im Dampflokwerk
Märklin hält analoge Technik-Kunstwerke am Laufen
Von Peter Thomas
Modellbahnen sind heute digital und beeindruckend vorbildgerecht detailliert. Aber was ist mit analogen Bahnen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts? Sie haben eine aktive Fangemeinde. Und Werkstätten wie jene von Märklin in Göppingen sorgen dafür, dass die alten Schätze auch künftig in Betrieb bleiben. Die kleine Tenderlok der Baureihe 89 und das Krokodil sind Zeitzeugen einer vergangenen Epoche. Und damit ist nicht allein die biografische Dimension ihrer Vorbilder gemeint. Immerhin wurden die Krokodil genannten, schweren Gebirgsgüterzuglokomotiven von den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) schon 1918 bestellt. Die dreiteilige Ausführung mit Schrägstangenantrieb und die grüne Lackierung trug ihren Spitznamen ein.

Legendär sind aber nicht nur die originalen Maschinen, sondern auch ihre Nachempfindungen im Modell. Beim deutschen Modellbahnhersteller Märklin beispielsweise kamen Miniaturen des Krokodils für die Spurweiten 0 und 1 schon Mitte der 1930er-Jahre heraus. Das Modell für die Spur H0 mit der Artikelnummer 3015 folgte 1947. Es gehörte seit dem Wirtschaftswunder zu den Träumen vieler Buben und Väter.
Zurück ins Werk
Heute kommen Exemplare dieses Klassikers regelmäßig zurück ins Werk und fahren auf den Tischen des Teams von Jan Bühler vor, dem Leiter des Reparaturservice von Märklin. „Das legendäre Krokodil mit der Artikelnummer 3015 gehört zu den ältesten Lokomotiven, die wir zur Wartung erhalten. Es ist ein echter Klassiker, ebenso wie die deutsche Baureihe 89 mit der Artikelnummer 3000,“ sagt Bühler. Der kleine Dreiachser stand für Generationen von Modellbahnfans am Anfang der Entwicklung einer eigenen Anlage. „Oft hat diese Lok dazu beigetragen, die Faszination für Technik und Modellbau zu wecken“, freut sich der Serviceleiter. Die erste Variante der Artikelnummer 3000 wurde ab 1953 in Göppingen produziert.

Kleinere Reinigungsarbeiten und vorsichtiges Ölen beweglicher Teile kann jeder Modellbahner selbst ausführen. Aber bei komplexeren und umfassenden Aufgaben setzen viele auf die Märklin-Techniker. Für diese ist die Arbeit an den analogen Klassikern auch nicht mehr alltäglich. Schließlich hat der Umstieg der Modellbahnen in die digitale Welt schon vor vier Jahrzehnten begonnen. Die Technik dominiere denn auch heute die Szene, sagt Jan Bühler, das gelte für Vereine und Gruppen genauso wie private Anlagen mit ihrem Rollmaterial. Gefragt ist die Kompetenz rund um analoge Technik aber nach wie vor: Regelmäßig melden sich Kunden, die ihre alten Lokomotiven für eine Wiederinbetriebnahme einsenden möchten – oder mindestens für eine große Wartung. Dabei geht es nicht um unbespielte Sammlerstücke in der Vitrine, sondern um betriebsfähige Loks auf der Anlage. Gepflegt und spielerisch benutzt werden diese Lieblingsstücke von begeisterten Kidults – wobei das Phänomen erwachsener Modellbahner natürlich viel älter ist als der moderne Begriff für diese Zielgruppe mit ihrer großen Bedeutung für die Branche.
Bewusstsein für zeittypische Technik

Das Interesse an der analogen Modellbahn, sagt Bühler, gründe oft im ideellen Wert der historischen Modelle – und im Bewusstsein um die Eigenheiten der zeittypischen Technik. Denn zu den elektromechanischen kleinen Kunstwerken aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehört auch eine charakteristische Infrastruktur. Das beginnt bei der technischen Bezeichnung Dreischienen-Zweileiter-System der Märklin-Gleise für den Wechselstrombetrieb. Der Begriff stammt aus jener Zeit, als die blechernen Gleise neben den beiden äußeren Fahrschienen einen durchgehenden Mittelleiter aufwiesen. Schon 1956 wurde dieser mit der Einführung des M-Gleises von den bis heute üblichen Punktkontakten abgelöst. Wer um solche Details weiß und darauf achtet, der möchte auch bei Reparaturen und Wartungen den authentischen und historisch schlüssigen Zustand erhalten. Jan Bühler bestätigt: „Meistens bitten die Kunden darum, die Reparatur so durchzuführen, dass die Lok und die eingebauten Teile dem damaligen Stand entsprechen.“ Da unterscheidet sich der Aufenthalt einer Lok im Werksservice von Märklin kaum von der Behandlung eines automobilen Oldtimers durch die Fachleute ausgewiesener Kompetenzzentren der entsprechenden Hersteller. Zu modernen Produkten sollten Fans der analogen Modellbahn allerdings bei der Stromversorgung greifen. Denn historische Transformatoren sind erstens für eine Netzspannung von 220 Volt statt der heute europaweit geltenden 230 Volt ausgelegt. Das kann zu hohen Ausgangsspannungen führen – beispielsweise beim Umschalten der Fahrtrichtung. Außerdem kann die Elektrik der Fahrgeräte mit den typischen blauen Gehäusen über die Jahrzehnte hinweg altern – das führt eventuell zu riskanten Schäden in der Isolierung.
Gut gepflegte Lieblingsstücke
Dem Märklin-Team fällt immer wieder die offensichtliche Pflege der Miniaturen auf. „Diese historischen Modelle kommen teils in erstaunlich gutem Zustand zu uns in die Werkstatt,“ sagt Jan Bühler. Bei den Arbeiten geht es denn auch für gewöhnlich nicht um mechanische Schäden, sondern um das Beheben von Verschleiß. „Typisch sind bei den alten Loks die Wartungsarbeiten,“ bestätigt der Serviceleiter. „Das umfasst zum Beispiel Reinigung des Treibgestells, Abdrehen der Motorkollektoren sowie Tausch von Kohlebürsten, Schleifer, Haftreifen und Glühbirnen.“ Zu den häufigeren mechanischen Arbeiten gehört die Instandsetzung von abgefahrenen Zahnrädern und losen Radscheiben. „Ob das bei der jeweiligen Lok möglich ist, muss artikelabhängig geprüft werden,“ erläutert Jan Bühler. Aber was heißt eigentlich „alt“ für Märklin, angesichts der oben geschilderten langen Zeiträume seit der Einführung von Klassikern? „Unsere Ersatzteilversorgung reicht weit in die Vergangenheit zurück, teilweise bis in die 1980er-Jahre,“ erklärt der Märklin-Experte. Herausragend sind einmal mehr die schon genannten Modelle mit den Artikelnummern 3000 und 3015: Für die Baureihe 89 und für das schweizer Krokodil sind einige Teile sogar bis in die 1950er-Jahre verfügbar. So sei Märklin heute in der Lage, diese beiden Lokomotiven in den meisten Fällen fachgerecht zu warten oder instand zu setzen, die vor mehr als 70 Jahren erstmals produziert wurden. „Möglich ist das aber auch durch den Umstand, dass diese Modelle über mehrere Jahrzehnte hinweg nahezu unverändert produziert wurden,“ weiß Bühler, „so blieb ein großer Teil der Ersatzteile kompatibel.“ Das sei ein großer Unterschied gegenüber der heutigen, schnelllebigen Produktwelt.“
Aus der Welt nach Schwaben
Und von woher kommen die heutigen Betreiber analoger Modellbahnen, um die sich der Werksservice von Märklin kümmert? Sind es vor allem jene Kinder der 1950er- bis 1980er-Jahre, bei denen die analoge Modellbahn unter dem bundesrepublikanischen Weihnachtsbaum lag? Das sei keineswegs so, rückt Jan Bühler das Klischee zurecht: „Unsere Kundinnen und Kunden kommen buchstäblich aus der ganzen Welt. Das reicht vom Modellbahnfan aus Japan bis zum leidenschaftlichen Sammler direkt aus der Region.“ Auch über die verschiedenen Altersgruppen sei die Kundschaft verteilt. In der Werkstatt im Märklin-Hauptwerk in Göppingen kommen die Pakete der Kunden an, der größte Teil der Aufträge wird hier auch bearbeitet. Vor allem in der Hochsaison vor Weihnachten seien darüber hinaus die autorisierten Servicefachbetriebe dem Hersteller eine große Unterstützung. „Diese erhalten sowohl direkte Aufträge von den Kunden als auch über uns. Durch regelmäßige Besprechungen und den direkten Kontakt mit unserer Organisation wird die Qualität und Arbeitsweise dieser Betriebe sichergestellt,“ sagt Bühler.
Sprung in die digitale Zukunft

Manche Kunden vollziehen für ihre analogen Bahnen aus dem vergangenen Jahrhundert den Sprung in die digitale Welt nach. „Märklin bietet mit universellen Nachrüstsets für Motoren und Decodern die Möglichkeit, alte Loks zu digitalisieren,“ sagt Bühler. Das kann bis zur Integration eines Soundmoduls reichen. Je nach Umfang des Umbaus belaufen sich die Kosten auf rund 100 bis 250 Euro. Aktuelle Digitaltechnik und historische Formen lassen sich aber auch anders miteinander verbinden: 2023 stellte Märklin das „Replika-Krokodil“ mit der Artikelnummer 18045 vor. Es verband historische Formen von 1936 mit moderner Technik, unter anderem mfx-Decoder und digital schaltbarem Lichtwechsel. Das war der Start einer kleinen, feinen Serie mit historisch anmutenden Fahrzeugen. Für 2025 brachte die Traditionsmarke den Triebwagen TWE 700 mit der Artikelnummer 18050 heraus. Sein Vorbild stammt ebenfalls aus den 1930er-Jahren, damals griff Märklin damit die Begeisterung für die Fliegenden Züge des modernen Hochgeschwindigkeits-Fernverkehrs auf. Das Konzept kommt gut an bei Kunden mit Interesse an der historischen Dimension des Modellbahnhobbys – so ist das erste Krokodil werksseitig bereits ausverkauft. „Es wird aber weitere Modelle geben,“ heißt es bei Märklin.
Über den Autor Peter Thomas
Geschichten über Technik und Menschen erzählen: Das fasziniert den Journalisten, Autor, Kulturwissenschaftler und Dozenten seit mehr als 30 Jahren. Technisches Spielzeug steht dabei immer wieder im Fokus, vom Baukasten bis zu interaktiven digitalen Lernspielzeugen. Nach Studium und Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität schreibt Peter Thomas für Tageszeitungen, Magazine und Unternehmenspublikationen im deutschen und englischen Sprachraum. Seine Schwerpunkte neben der Welt des Spiels sind Mobilitäts-, Sicherheits-, Energie- und Medizintechnik.


