
Mary Couzin – die Netzwerkerin
Wie sie Amerikas Spieleszene prägt
Von Peter Budig
Die Spielebranche besitzt diese geheimnisvolle Kraft, Menschen in ihren Bann zu ziehen. Nirgends findet man sonst so viele Erfinder, Gründer, Netzwerker, Teilhaber, die sich ganz und gar der Sache verschreiben, deren Lebensinhalt sie geworden ist. Diese Branche schafft nicht nur Karrieren, sie saugt Leben auf und wandelt sie in Bestimmungen um. Viele einzigartige Individuen kann man hier treffen. Die Lebensleistung von Mary Couzin aber übersteigt dies noch.
Du hast von Mary Couzin nie gehört? Das hat vielleicht damit zu tun, dass sie Amerikanerin ist und vor allem im US-Markt wirkt. Es liegt auch daran, dass dieses „Kulturgut Spiel“ auf der ganzen Welt noch immer nicht die Bedeutung erfahren hat, die es verdient. Oder eines von Marys oft wiederholten Zitaten des Spielexperten Tim Walsh: „Wenn man eine Million Songs verkauft, landet man auf dem Cover des Rolling Stone Musikmagazins. Eine Million Bücher, und man steht auf der Bestsellerliste der New York Times. Aber wenn man über 100 Millionen Jenga-Spiele verkauft, kennen die meisten Menschen immer noch nicht deinen Namen. Das entspricht 100 Platin-Schallplatten – dennoch erhalten unsere Erfinder selten die Aufmerksamkeit, die sie verdienen.“
Spiele-Erfinderin, Messe-Gründerin, Netzwerkerin, Unternehmerin – Mary Couzin ist das Herz der Branche
Ein intelligenter, eigener Kopf, entschiedene Lebenseinstellungen und eine entwaffnende Offenheit, das alles ist gepaart mit einem Gespür für Menschen und ihre Netzwerke: Mary Couzins Auftreten geht weit über das typisch amerikanische „so nice to meet you“ hinaus. Sie hat durchaus ein Feeling für den Nutzen von Situationen und Menschen. Aber ihre energische Zielstrebigkeit kommt milde rüber, auch weil sie einer so guten Sache dient. Mary ist den vielen Mentoren und Förderern, die sie auf ihrem Weg unterstützt haben, zutiefst dankbar. Dazu zählt auch Alan Hassenfeld, dessen Tod eine echte Lücke in der Branche hinterlassen hat. Von ihrer Unterstützung inspiriert, gibt Mary der Spielzeug- und Spielegemeinschaft so viel wie möglich zurück. Was sie bisher geschaffen hat, ist unglaublich. Also, der Reihe nach:
Aufgewachsen in der Großfamilie
Als Älteste von sechs Geschwistern kam Mary Couzin in Hammond, Indiana (etwa 40 km südlich von Chicago) zur Welt, „in den Iden des März“, also am 15.3. Zur Familie gehören fünf Geschwister, die für sie bestimmende Person war ihre Mama. Begeistert schwärmt sie vom Zusammenhalt dieser Großfamilie, „als ich 2003 die Chicago Toy & Game Fair“ gründete, kam meine Mom und meine Tanten herbei und halfen mit, wo sie gebraucht wurden. Mit über 60, das nur am Rande, begann ihre Mutter ein Universitätsstudium und schloss es mit Erfolg ab. „Sie glaubte an den Wert von Bildung, als etwas, dass dir niemand nehmen kann. Und sie lehrte mich, beharrlich zu sein“, erinnert sich Couzin.
Der erste Kuss
Mary Couzins Berufslaufbahn war vielseitig, nicht immer geradlinig: Sie arbeitete nach einem doppelten Universitätsabschluss im sie im Bereich internationale Sozialleistungen und Vergütung, als Schmuckdesignerin und machte ihr Hobby, Brot backen und Tortenkunstwerke erschaffen, zum Teilzeitjob. Lange Zeit war sie in der Immobilienbranche tätig. Der „erste Kuss“, der sie für die Spielebranche entflammte, war „als ein Freund bei Western Publishing (heute ein Teil von Hasbro) mir Prototypen zum Testen gab und mir Geschichten von Erfindern erzählte. Von da an wusste ich, dass ich Teil dieser Welt sein musste.“ Die Leidenschaft loderte auf: „Ich liebte die Geschichten und dachte dann, ich könnte das auch ... genau wie die 5 bis 10 neuen Erfinder, die sich jede Woche an mich wenden und glauben, sie können es ... und einige wenige werden es schaffen.“ Während sie in der Immobilienbranche tätig, erfand sie das erste eigene Spiel: „Das erfolgreichste Brettspiel, das ich damals mit meiner Kollegin June Fobes erfunden habe, war Hollywood's Reel Schpeel. Es war in den 90er Jahren und war das erste große Spiel, das Filmzitate und Film Trivia verwendete.“ So war der entscheidende Funke übergesprungen, „it has begun, you’re in the hands of destiny“ (Genesis). Heute resümiert Mary Cousin „I found my tribe“, in der Spielwarenbranche war sie schnell ganz und gar angekommen.
Ihre Vorbilder unter den Spieleerfindern: Klaus Teuber und Leslie Scott
„Einer der Höhepunkte meines Lebens war es, Klaus Teuber (Erfinder von Siedler von Catan; verstorben im April 2023) vor 25 Jahren als Erste in Amerika zu interviewen – bevor die meisten Menschen hier überhaupt von ihm oder Catan gehört hatten. Er erzählte mir stolz, dass 50 Prozent der Catan-Spieler weiblich seien, was damals bemerkenswert war“. Ihr zweites Erfinder Vorbild (und zugleich gute Freundin) ist eine brillante Engländerin: Leslie Scott, die 1983 Jenga herausbrachte. „Obwohl Jenga kein Brettspiel ist, hat es sich in Kulturen auf der ganzen Welt etabliert. Wenn man Jenga sagt, weiß jeder, was damit gemeint ist. Was die meisten Menschen nicht wissen, ist, wie viel Durchhaltevermögen nötig war, um Jenga am Leben zu erhalten. Leslie verpfändete ihr eigenes Haus, dann verpfändete ihre Mutter ihres, nur um das Spiel „aufrechtzuerhalten“. Und damit nicht genug – sie hat mehr als 40 weitere Spiele erfunden. Wenn es bei Jenga um Balance geht, dann geht es in Leslies Geschichte um Beharrlichkeit.“

Die Netzwerkerin
Wenn es etwas gibt, neben der unternehmerischen Initiative, das Couzin ganz und gar ausmacht, dann ist es ihre Begabung und die Ausdauer Netzwerke zu bilden und sie auszubauen. „Das Erste, was ich je lernte, war, dass man Partner suchen muss, um erfolgreich zu sein“. Sie nutzte früh moderne Kommunikationsmittel, „ich veröffentliche mehrere Newsletter – Play in Education (PIE News), POP News und IDEA (Inventor Designer Elves and Authors News)“. So geschah es, dass bereits vorhandene Initiativen auf sie aufmerksam wurden: „Die Publikation, auf die ich am meisten stolz bin, ist The Bloom Report.“ Diese Fachveröffentlichung wurde vor 1999 von Phillip Bloom gegründet und entwickelte sich schnell zur ersten Anlaufstelle für die Branche, die alle Nachrichten der Woche an einem Ort zusammenfasste. Als Bloom sich entschloss, in den Ruhestand zu gehen, vertraute er Couzin den Report an, die seitdem die Publikation weiter ausbaute. Sie machte daraus das Sprachrohr der Branche.
Die SPIEL Essen war das Vorbild für Magie
Schon früh reiste Mary Couzin an die Orte, wo das Spiel zelebriert wurde, und besuchte oft Deutschland. Hier war es die Publikumsmesse in Essen, die SPIEL, wo der Gründerfunke übersprang. Im Jahr 2003 kam es zur Gründung der Chicago Toy and Game Fair, woraus das griffige Kürzel ChiTAG entstand. Es ist heute zu einem Sinnbild eines internationalen Treffens aus bis zu 25 Ländern der Spielwaren- und Brettspielbranche und Spielenden geworden. ChiTAG hat weitere Initiativen hervorgebracht, allen voran das Onlineportal People of Play (POP, 2020). Eine Vielfalt, die Couzin selbst heute so zusammenfasst: „Wir haben Räume geschaffen – sowohl persönlich als auch online –, in denen die Spielzeug- und Spielegemeinschaft sich verbinden, lernen und natürlich spielen kann. Unsere Live-Events, POP Week und CHiTAG, sowie unser digitaler Hub, PeopleofPlay.com, sind Orte, an denen Magie entsteht.“ ChiTAG ist heute Nordamerikas größte Verbrauchermesse für Spielzeug und Spiele. CHiTAG wird inzwischen von People of Play™ veranstaltet. 2025 findet vom 6. bis 9. November 2025 statt. Die Veranstaltungen, zu denen der Inventor Pitch, die Innovation Conference, die TAGIE Awards und die eigentliche Messe gehören, finden im Donald E. Stephens Convention Center in Rosemont, Illinois, statt.

Förderung der Jugend
Um die Branche zu fördern, hat Couzin, die große Netzwerkerin, früh auf die Förderung des Brettspiels bei Kindern und Jugendlichen gesetzt. Die Young Inventor Challenge (YIC) ist eine Veranstaltung, um jungen Spieleerfindern ein Podium zu bieten. Sie steht Kindern im Alter von 6 bis 18 Jahren offen und feiert 2025 ihr 20-jähriges Jubiläum. Couzin blickt zurück: „Im Laufe der Jahre haben einige Teilnehmer Lizenzvereinbarungen abgeschlossen und sogar eine Karriere in der Spielzeugbranche aufgebaut. Die YIC hat sich zu einem Programm entwickelt, von dem die gesamte Community profitiert – Spielzeug- und Spieleläden veranstalten jetzt Sommercamps der YIC, die für mehr Kundenverkehr sorgen, die Gemeinschaft stärken und die Aufmerksamkeit der lokalen Medien auf sich ziehen. Pädagogen integrieren die YIC in ihren Lehrplan, und Hersteller beginnen, das Programm in ihren Büros zu veranstalten.“ Im vergangenen Jahr nahmen Kinder aus den gesamten Vereinigten Staaten und fünf weiteren Ländern persönlich oder virtuell teil.
- Toy Industry Hall of Fame (2023)
- I.D.I.O.T. Award (“International Designer and Inventor of Toys”) – zuerkannt auf dem London Toy Fair’s 36th annual Toy Inventors’ Dinner 2019 für ihre außerordentlichen Leistungen.
- Women in Toys Mentor Award (2017)
- W.I.T. Wonder Woman Entrepreneur of the Year (2009)
- Global Toy News Person of the Year (2011)
- Chicago Auto Show “Woman Driving Excellence”(2014)
- TAGIE Founder’s Award (2011)

Der Coup ihres Lebens: New York Toy Fair und ChiTAG gehen zusammen
Eine der größten Spielwarenmessen der Welt ist die New York Toy Fair, 1903 gegründet. Sie findet zeitlich nach der Nürnberger Spielwarenmesse Mitte Februar im New York City's Jacob K. Javits Convention Center statt. Nur der Spielwarenhandel, Vertreter der Spielwarenindustrie und die Fachpresse haben Zugang. Es ist eine Fachmesse wie die Spielwarenmesse in Nürnberg. Veranstalter ist der amerikanische Fachverband, die Toy Association. Am 6. August 2024 gab dieser Fachverband eine Presseerklärung heraus: „Die The Toy Association™ gab heute bekannt, dass The People of Play™ (POP) und seine Vermögenswerte in die Association integriert werden und dass Mary Couzin, Gründerin von People of Play, dem Führungsteam der Association beitreten wird. Couzin wird mit sofortiger Wirkung für die Zukunft und das Wachstum dieses Neuzugangs in der Association verantwortlich sein.“ Das heißt in der Konsequenz, dass die größte US-Fachmesse und die größte US-Publikumsmesse ChiTAG von nun an unter einem Dach organisiert und entwickelt und veranstaltet werden. Auch hier gibt es eine gewisse Parallele zu Deutschland, wo die Spielwarenmesse und die SPIEL Essen seit 2022 unter einem Dach agieren.
Ein Loblied auf die Mama: Mary Couzin ist die große Bastlerin der Spielebranche
Um es abzurunden: Ihre Mama, sie war ihre erste und größte Mentorin, „she was a tinkerer and loved to make toys“ (sie war eine Bastlerin und liebte Spielzeug), hat den Anfang gemacht. An diese Bastelleidenschaft erinnert das Wirken der Tochter. Sie hat für diese ganze Spielebranche aus dem Bauch heraus Stück um Stück mehr Resonanz erschaffen. Es geht immer weiter, die Elemente der Mary Couzin sind nicht Klebstoff, Holz und Faden, sondern Menschen und Gelegenheiten und eine außerordentlich gute Kommunikation, um unaufhörlich die Bestimmung weiter voranzutreiben.
„Beharrlich sein“ – Ihr Lebensmotto hat Calvin Coolidge aufgeschrieben
Denn von der Mama bekam Mary Couzin die Beharrlichkeit gelehrt, das Vorbild beider ist Calvin Coolidge, von 1923 bis 1929 war er der 30. Präsident der Vereinigten Staaten. Dieses Motto hat er notiert: „Nichts auf der Welt kann Beharrlichkeit ersetzen. Talent nicht; nichts ist häufiger als erfolglose Menschen mit Talent. Genie nicht; unbelohntes Genie ist fast ein Sprichwort. Bildung nicht; die Welt ist voller gebildeter Versager. Nur Beharrlichkeit und Entschlossenheit sind allmächtig. Der Slogan Weiter! hat die Probleme der Menschheit gelöst und wird es immer tun.“ (“Nothing in the world can take the place of persistence. Talent will not; nothing is more common than unsuccessful men with talent. Genius will not; unrewarded genius is almost a proverb. Education will not; the world is full of educated derelicts. Persistence and determination alone are omnipotent. The slogan Press On! has solved and always will solve the problems of the human race.”)
POP/CHITAG Week and WishList Weekend im November 2025
- Inventor Pitch and Innovation Conference 6. bis 9. November 2025: Knüpfe Kontakte und präsentiere deine Ideen.
- TAGIEs 8. November 2025: Feier innovative Kollegen.
- 20. Young Inventor Challenge 8. November 2025: Ermutige kreative Kinder zur Teilnahme.
- Chicago Toy & Game Fair 8. bis 9. November 2025: Triff als Aussteller Verbraucher, Influencer, Medienvertreter und Fachbesucher!
Über den Autor
Peter Budig hat Evangelische Theologie, Geschichte und Politische Wissenschaften studiert. Er war als Journalist selbstständig, hat über zehn Jahre die Redaktion eines großen Anzeigenblattes in Nürnberg geleitet und war Redakteur der wunderbaren Nürnberger Abendzeitung. Seit 2014 ist er wieder selbstständig als Journalist, Buchautor und Texter. Storytelling ist in allen Belangen seine liebste Form.


